Zugfahrt

Der Zug ist leer. Um diese Uhrzeit fährt wohl niemand mehr. Nur eine Handvoll Leute leistet mir Gesellschaft, doch flüchtet sich in verschiedene Abteile, sucht die Isolation von den Anderen, den Fremden. Es ist der letzte Zug. Ich bin froh, ihn erreicht zu haben, lasse mich nieder und freue mich darauf, bald endgültig zu Hause sein zu könen. Ein Türke fragt mich nach einem Wochenendticket. Ich habe keines. Merkwürdigerweise schäme ich mich dafür.
Das Abteil gehört mir alleine. Als der Zug anfährt, wechsele ich den Sitzplatz.

Draußen hinter der Scheibe entdecke ich nur Dunkelheit. Das Rattern des Zuges beruhigt mich. Meine eigenen Worte beruhigen mich. Ein Schaffner kontrolliert meinen Fahrschein. Seine Höflichkeit erstaunt mich und wird von mir erwidert. Ich verkrieche mich wieder in meine Gedanken. Der Türke kehrt zurück, berichtet mir von seiner erfolgreichen Flucht vor dem Schaffner. Ich lächle, gebe ihm recht, weiß nicht, ob er immer so offen ist oder getrunken hat. In seinem Stoffbeutel klirrt es verdächtig gläsern. Es ist mir egal. Wieder allein beiße ich in einen Apfel, lese ein paar Zeilen in einem Buch, das ich längst kenne, doch von dem zu fesseln ich immer wieder bereit bin.

An der Scheibe klebt der Handabdruck eines Kindes. Fasziniert setzte ich meinen eigenen daneben und betrachte die beiden eigenartigen Kunstwerke. In einem anderen Abteil beginnt der Türke zu singen. Laut und nicht wirklich begabt. Ich verstehe kein Wort, doch grinse vergnügt. Als abzusehen ist, daß der fremdartige Gesang nichtaufhören wird, vertiefe ich mich erneut in meine Lektüre.

Vielleicht war heute ein guter Tag.