Die weibliche Seite an mir 2

Na toll. Heute morgen entdeckte ich eine weitere weibliche Seite an mir:
Ich weiß nicht, was ich anziehen soll.

Die Sache ist eigentlich gar nicht so kompliziert.
Ich mag es, mich „lumpig“ anzuziehen, mir ab und zu eine abgewetzte Jeans, ein bequemes, aber nicht unbedingt stilistisch hochwertiges Shirt überzuwerfen und unter die Massen zu begeben.
Ich mag es, zuweilen keinen großen Wert darauf zu legen, mit meiner Kleidung der aktuellen Mode oder präzisen Vorstellungen nach gutem Geschmack zu folgen.
Ich mag es, mich in den Klamotten, die ich trage, wohlfühlen zu können, selbst wenn [oder gerade weil] sie offensichtlich schon mehrere Jahre alt sind.

Ich mag es aber auch, Wert auf mein Aussehen, auf meine Kleidung zu legen, mich meinen Vorstellungen gemäß zu kleiden, mich solange umzuziehen, bis ich das Gefühl habe, das die Klamotten an meinem Leib genau die sind, die ich in diesem Augenblick zu tragen wünsche.
Ich mag es, Kleidungsstücke, die womöglich besonderen Anlässen dienen sollen, aus an einem „normalen“ Tag zu nutzen, mich in ihnen wohlzufühlen, weil sie auch für mich etwas Besonderes darstellen.

Ich mag es also, mich meiner Stimmung entsprechend zu kleiden.

Das funktioniert leider nicht. Nicht immer. Schließlich gibt es mehr Faktoren als die meiner Stimmung.

Ein bedeutsamer ist der Umstand, daß ich ganz gern alle Wege mit dem Fahrrad erledige. Und sobald ich diesen Gedanken in meinem Kopf aufblühen lassen, fallen unzählige Kleidungsstücke, die den Tag vielleicht perfekt gemacht hätten, einfach weil ich befürchte, sie durch mein Rad, durch meine Fahrweise zu ruinieren, zu zerstören.

Ich besitze beispielsweise eine Nadelstreifenstoffhose, die ich – da alle anderen Alternativen unsauber oder unpassend gewesen waren – auch mehrmals auf dem Fahrrad trug. Nachdem ich einst schon eine Hose verlor, weil sich das Hosenbein in der Kette verklemmt hatte und aufgerissen, ja aufgefressen, wurde, ließ ich diesbezüglich besondere Vorsicht walten.
Doch mit Innenstadtdurchschnittsgeschwindigkeiten von über 25 km/h fällt es schwer, auch noch gleichzeitig neben all der Umgebungsinformationen auch noch auf die eigenen Kleidungsstücke zu achten. Die Kette verschonte meine Hose, und doch wurde ich das Gefühl nicht los, daß es ihr nicht gut tat, ständig auf dem Sattel hin- und hergerieben zu werden, daß sie an dieser Stelle auszudünnen begann.

Und so stellte ich auch heut wieder fest, daß es mir lieb gewesen wäre, dieses oder jenes Kleidungsstück anziehen zu können, und daß allein das Radfahren mich zu einem Verzicht aufforderte. Schließlich halte ich Hemden und Jacketts nicht unbedingt für geeignet, um auf einem Mountainbike getragen zu werden.

Ja, ich könnte auf das Fahrrad verzichten, doch ist es mir lieb und teuer. Mir gefällt es, durch die Gegend zu rasen, jeden Ort binnen weniger Minuten problemlos erreichen zu können, unabhängig von Stau oder Fahrplänen zu sein. Ich mag es, meinen Geschwindigkeitsmesser zu betrachten und festzustellen, daß ich die 30 km/h nicht unterschreite, daß ich weniger als zehn Minuten zur Uni brauche.
Ich mag es, mich selbst zu unterbieten, Schleichwege zu nutzen, sekundenschnell im Kopf Alternativen zu abzuwägen, wenn eine Ampel auf Rot geschaltet ist, wenn Hindernisse meinen Weg versperren.
Ich liebe es radzufahren.

Ich zog mir also heute früh meine abgewetzte Cordhose an, wählte irgendein unbedeutendes Shirt und wußte, daß mit diesen Kleidungsstücken nichts schief gehen konnte.
Nur leider entsprachen sie nicht dem Moment, nicht dem Gefühl, das ich in mir trug, nicht meinem Wohlfühlwunsch, nicht meiner Stimmung.