Als ich unlängst im Kino die Vorschau für den ersten Teil des dreiteiligen, in Rußland überraschend erfolgreichen Films „Wächter der Nacht – Nochnoi Dozor“ sah, vermochte ich mich nicht zu entscheiden, ob ich den Versuch, eine fantastische Horrorgeschichte auf Leinwand zu bannen, verurteilen oder über die Unbeholfenheit lachen sollte.
Schließlich entdeckte ich innerhalb der wenigen Sekunden, die der Trailer andauerte, so viele Ideen und Gedanken, die im Bereich fantastischer Literatur und Film bereits Hunderte, vielleicht Tausende Male erwähnt und aufgegriffen worden waren, daß dieses russische Werk wie ein schlecht zusammengekittete Fetzensammlung ausgeleierter Klischees wirkte.
Eine Möchtegerndunkelheit wurde proklamiert, die vielleicht für sechzehnjährige Pimkiegruftis mit Lacrimosa-Faible und HIM-Aufnähern attraktiv wirken mochte, doch mich in seiner Lächerlichkeit eher abstieß und den groß angekündigten Dreiteiler als dem Schwarztrend folgende Albernheit bewerten und mit künftiger Ignoranz betrachten ließ.
Aber etwas in mir schien Feuer gefangen zu haben, geschieht es doch nicht alle Tage, daß ein russischer Film auch bei uns Erfolge zu verbuchen versucht. Und so war es nicht verwunderlich, daß ich, in einer Buchhandlung stöbernd, stehenblieb, als ich eines Werkes gewahr wurde, das unauffällig auf einem Regalboden des Fantasybereichs lag:
Sergej Lukianenko – „Wächter der Nacht“
‚Das kann doch kein Zufall sein.‘, dachte ich und entdeckte auch gleich einen kleinen Aufkleber auf dem Buchumschlag, der auf den am 29. September in deutschen Kinos anlaufenden Film verwies. Dennoch war ich neugierig, fühlte mich vielleicht aufgrund achtjährigen Russischunterrichts und der langjährigen Rußland-Erfahrungen meiner Eltern [Immerhin hatten sie sich in diesem Land kennengelernt.] mit dem Herkunftsland des 500-Seiten-Werkes verbunden, stellte fest, daß der Film, besser: die Filme, nach der Vorlage dieses Buches geschaffen worden waren [Ich verachte Bücher-Zum-Film, also die Bücher, die erst aus dem Drehbuch heraus entstehen.] – und beschloß spontan, das Buch zu kaufen.
Das war vor zwei Tagen.
Soeben beendete ich die Lektüre der letzten Seite, legte das Werk beiseite und versuche, im Geiste, den angekündigten Film mit dem Buch zu vergleichen.
Es gelingt mir nur schwer, muß ich doch zugeben, bekannte Ideen auch auf den einzelnen Seiten wiederzufinden.
Anstelle himmlischer und höllischer Heerscharen, die einander kriegerisch gegenüberstehen und nur auf den richtigen Augenblick warten, um sich in die Letzte Schlacht zu stürzen – und dabei vielleicht sogar die Erde als Schlachtfeld wählen – gibt es andere Protagonisten, Dunkel und Licht, die einen Vertrag miteinander schlossen, um miteinander auskommen zu können und nicht – wie in Vergangenheit wohl nahezu vollständig geschehen – einander auszulöschen.
Soweit nicht viel Neues. Was neu ist, ist die Art und Weise, wie die beiden Parteien miteinander umgehen, welche regeln sie zu beachten haben, ja sogar, wie die Frage gestellt wird, was das Dunkel, was das Licht eigentlich ist.
Jede gute Tat, die das Gleichgewicht verletzen könnte, darf mit einer bösen ausgeglichen werden. Für die Einhaltung der Regeln, des Vertrages, sorgen Tag- und Nachtwache, Dunkle und Lichte.
Auch das wirkt nicht neu – und ist es doch. Denn mittendrin steht Anton, ein Lichte niederer Stufe, der nahezu mit jeder Zeile die regeln zu verstehen versucht, Fragen stellt, die den Leser klar werden lassen, daß die Abtrennung zwischen Dunkelheit und Licht keine gerade Linie ist, sondern ein schwammiger, verwischter Bereich, der je mehr Fragen aufwirft, je mehr Antworten gefunden werden.
Lichte agieren mittels der Lüge, Dunkle mit der Wahrheit, versuchen beide, die Menschen in die – für sie – „richtige“ Richtung zu weisen und stoßen immer wieder an Grenzen, auf Fäden des Schicksals, auf Intrigen, auf Versehungen.
Anton wird davon nicht verschont, versucht zu verstehen, doch fehlt ihm zumeist der Durchblick, läßt auch den Leser im Unklaren.
Während er den von seinen Vorgesetzten und Gegnern gesponnenen Fäden zu entkommen versucht, verirrt er sich tiefer in ihren Netzen, agiert dadurch, daß er eigenständig denkt und handelt, zuweilen als Puppe, als Schachfigur in einem unverständlichen Spiel Schwarz gegen Weiß, Weiß gegen Schwarz.
Jedes mühevoll erwirkte Licht kann Dunkel mit sich ziehen, jedes Dunkel Licht. Es ist, als gäbe es keinen Weg als den des ewigen Stillstands beider Seiten.
Und doch ist es nur ein Belauern, ein Warten, ein Abwägen der eigenen Möglichkeiten, ein Kalter Krieg, der um die nichtsahnenden Menschen herum, im Zwielicht, tobt.
Aber auch die Menschen ahnen, fühlen Stiche in der Seele, fühlen Glück – je nachdem, welche Seite gerade obsiegt.
Menschen sind leicht zu beeinflussen. Das Dunkel ist dabei stets attraktiver als das Licht – und läßt einen Endsieg der Dunklen in fernern Zukunft erwarten.
Doch egal, in welche Richtung Menschen bewegt werden, sie fühlen sich am wohlsten, dürfen sie sich für beide Seiten entscheiden, sowohl Dunkel als auch Licht wählen, sie selbst sein.
Es gibt in diesem Buch nicht das überall proklamierte „Absolut Böse“. Dunkelheit kann aus winzigsten Unstimmigkeiten, aus Unzufriedenheiten, resultieren – und nur die Anderen, die Lichten und Dunklen, jene, welche im Zwielicht wandeln können, spüren ihre Manifestation.
Die große Schlacht, das Armageddon bleibt aus, begegnet man doch all dem aus der Sicht Antons, der mit den ewigen Fragen aus dem Blickwinkel eines Zweiflers, eines Halbwissenden konfrontiert wird. Er sucht sich selbst, seine Rolle als Lichter und versucht, sie zu verstehen – was schwer genug fällt in Anbetracht der unlösbaren Verstrickung beider Seiten.
Das Buch stellt keine gewöhnliche Fantasygeschichte mit guten und bösen Menschen dar, sondern den Weg eines Menschen, der zum Anderen ward, der hinterfragt, was er ist, was er will, wofür er zu kämpfen hat, eines Suchenden, der finden will, doch von höheren Mächten benutzt wird, in Fallen tappt, sie durchschaut, um weiteren Irrwegen zu folgen, und letztendlich doch wieder einen Pfad in die für ihn richtige Richtung zu entdecken.
Die Stimmung des Romans ist düster, es fehlt das übliche Heldengeschwafel, die überzeugte Sicherheit der guten, hellen Seite, mit der das Böse bekämpft werden soll.
Ich war beeindruckt.
Der bald anlaufende Film „Wächter der Nacht – Nochnoi Dozor“ ist als Dreiteiler geplant, was mich vermuten läßt, daß jeder einzelne Teil eine der drei Geschichten des Buches zum Inhalt haben wird.
Doch auch eine Fortsetzung des Buches wird es geben – „Wächter des Tages“.
Bis jetzt bin ich mir im Unklaren darüber, ob der Film mittels der erwähnten, wahrlich schlechten Trailers nur minderwertig angekündigt wurde oder ob die Verfilmung des Buches, das mich angenehm überraschte, vollkommen mißlang, ob zu viel Wert darauf gelegt wurde, die Nebensächlichkeiten, die Hintergründe, zu dokumentieren als die tatsächliche Geschichte des Anton Gorodezki, ob ich mir diesen Film mit seinen drei Teilen ansehen, antun, mich zu den mit Nickelpentagrammen bestückten Pseudogruftis gesellen sollte, oder es bei dem Buch belassen, das bei Weitem gut genug war, um es bedenkenlos weiterempfehlen zu können.
Abwarten.