Ich heiße Bastian.
Das ist an sich nichts wirklich Ungewöhnliches, und ich bin froh, daß meine Eltern so freundlich waren, mir einen derart schönen Namen verliehen zu haben, der nicht nur immer wieder mit Michael Ende und seiner „Unendlichen Geschichte“ [Ein Immer-Wieder-Gut-Buch] in Verbindung gebracht werden kann, sondern sich auch wohltuend vom viel verbreiteten vornamentlichen Einheitsbrei abhebt.
Mir mißfällt allerdings zuweilen, mit dem findigen Spitznamen „Basti“ versehen zu werden, was die Anredenden nach Erwähnung dieses Mißfallens ein wenig verdutzt, bietet sich doch mein Vorname an, auf diese Art und Weise verkürzt und verniedlicht zu werden.
Doch eben jene Verniedlichung trägt dazu bei, daß ich vor „Basti“ in alberner Ignoranz meine Ohren zu verschließen versuche, werde ich doch, einmal derart gerufen, emotional in meine Kindheit zurückversetzt und fühle mich nicht nur plötzlich, als wäre ich erst seit zehn oder zwölf Jahren auf Erden, sondern auch, als würde mir eine „niedere“ Rolle auferlegt, eben die eines zu Urteilen nicht fähigen Kindes.
Das klingt lächerlich, und ist es vermutlich, doch leider suche ich mir mit Worten verbundene Emotionen in den seltensten Fällen selber aus. Im übrigen gibt es durchaus mehrere menschliche Wesen, die mich „Basti“ nennen dürfen, ohne einen zum Kehlkopf geführten Handkantenschlag oder ähnliches befürchten zu müssen.
Allerdings handelt es sich dabei – abgesehen von meinen Familienmitgliedern – um Freunde, deren Bekanntschaft sich über genug Jahre erstreckt, um in meine Kind- und „Basti“-Zeit hineinzureichen, die den Spitznamen sozusagen aus Tradition heraus benutzen.
Ein anderer Grund, warum ich „Basti“ als ungeeignet für mich erachte, ist der, daß es viel zu viele Sebastians auf Erden gibt, die allesamt von Freunden und Eltern „Basti“ gerufen werden und somit den unschönen Schluß zulassen, daß sei, die Sebastians in Wirklichkeit meinen wunderschönen – verkürzten – Namen trügen, also ebenfalls Bastian hießen, ohne die befremdliche Vorsilbe.
Jedoch bin ich derart beschaffen, daß ich nicht wünsche, mit den vielen Sebastians dieser Welt in einen großen Basti-Topf gesteckt und dort verrührt zu werden, sondern erachte meinen Vornamen für weniger gewöhnlich und wesentlich schöner als das lapidare „Sebastian“.
Könnte ich es also erwirken, richtete ich ein, daß jeder Sebastian auch „Sebasti“ gerufen werden sollte, um der Gerechtigkeit Tribut zu zollen und mir sowohl meinen Namen als auch meinen Spitznamen zu lassen.
Derlei wird jedoch nie geschehen, weswegen ich es vorziehe, nicht „Basti“ gerufen werden zu wollen und jedem Spitznamensuchenden empfehle, kreative Gedanken fließen zu lassen, um sich eine Spitznamenalternative zu ersinnen.
Tatsächlich gab es in meine Vergangenheit auch von „Basti“ abweichende Spitznamen [Ich vermeide absichtlich das Wort „Kosenamen“, da ich dieses mit „liebkosen“ assoziiere und mich ekle, wenn ich bedenke, daß auch Personen, von denen ich niemals auch nur annähernd so etwas wie eine Liebkosung erhalten möchte, Spitznamen nutzen.], die allerdings zumeist wenig kreatives Potential bargen.
Zwar kein wirklicher Spitzname, aber doch ein häufig vernommener Zuruf war [und ist] „Brillenschlange“, und längst vermag ich nicht mehr zu zählen, wieviele Male ich diese lächerlich-humorlose, durchweg unkreative Beleidigung vernahm, die befremdlicherweise auch in der Gegenwart noch Bedeutung zu haben scheint.
Nicht minder unkreativ ist, aus „Basti“ das Wort „Spasti“ zu formen und es zum Spitznamen zu deklarieren. Als ich das erste Mal mit dieser Bezeichnung konfrontiert wurde, hatte noch keine Ahnung, was ein Spasti eigentlich sein soll, reagierte dementsprechend gleichgültig. Und erst nachdem ich so oft „Basti-Spasti“ genannt wurde, daß es mir schon wieder egal war, erfuhr ich von der Bedeutung dieses unlustigen Reims. Allerdings war ich längst abgestumpft und kümmerte mich nicht mehr drum.
Ein Freund meines Bruders, mit dem ich in meiner Kindheit zum Leichtathletiktraining ging, neigte dazu, mich „Bas“ nennen zu wollen, hielt es wohl für besonders clever, meinen Vornamen auf eine Silbe zu reduzieren. Zwei Mal erklärte ich ihm, daß ich kein Musikinstrument sei. Beim dritten Mal erläuterte ich ihm, daß er, wenn er es noch einmal wagen würde, mich so zu nennen, eine scheuern würde – was ich dann auch tat. Ohne Konsequenzen übrigens – abgesehen davon, daß ich seitdem nie wieder „Bas“ hieß.
Während des Studiums handelte ich mir den Spitznamen „Blacky“ ein, der mich immer an „Black Beauty“ erinnerte und mir dementsprechend mißfiel. Jemanden, der regulär schwarze Kleidung trägt, als „Blacky“ zu bezeichnen, hielt und halte ich übrigens auch nicht unbedingt für einfallsreich, was regelmäßige Gesichtsentgleisungen meinerseits verursachte, sobald meine Ohren mit diesem alberne, anglophilen Spitznamen in Berührung kamen.
Ursprünglich war es nur einer, ein kaspriger Unsympath, dessen Schnodderschnauze ständig dergleichen entwich, doch alsbald übernahm ein durchaus erträglicher Mitstudent, selber stets schwarz gekleidet, den vermeintlich amüsanten Spitznamen und wurde fortan zum Adressat eines sporadischen Grummelns aus meiner Kehle.
Mich in einer Magdeburger Community anmeldend und dort einige Bekanntschaften schließend erwirkte ich, daß mir auch in der Wirklichkeit [„… dort, wo der Pizzabote herkommt.“] der Nutzername „stormrider“ anhängt und nachgerufen wird. Erstaunlicherweise erregte dies ausgesprochen wenig Mißfallen meinerseits, vermutlich, weil die stetige Iced-Earth-Assoziation in meinem Kopf erträglich war.
Als weniger erträglich erachte ich allerdings die gern benutzte Verkürzung auf „Stormi“, die mich nicht nur so fühlen läßt, als wäre ich zu einer der lustig-blauen Schlümpfe mutiert und dürfte mich neben Schlaubi und Torti in eine Reihe stellen, sondern auch die Frage aufkommen läßt, ob Namensabkürzungen überhaupt sinnvoll sind, ob die minimale Abkürzung, das Weglassen weniger Buchstaben eine solche Mühen-Ersparnis mit sich bringt, daß es gerechtfertig ist, das Risiko einzugehen, das Gegenüber könnte sich womöglich gar nicht darüber freuen, mit diesem Titel versehen zu werden.
Tatsache ist nämlich, daß ich meinen Vornamen durchaus mag und daß ich sieben Buchstaben nicht für zuviel erachte, um vollständig ausgesprochen zu werden, insbesondere weil im persönlichen Gespräch eigentlich eher unüblich ist, jemanden direkt mit Namen anzureden.
Hinzu kommt, daß „Bastian“ in meinem Umfeld bereits ein Eigenleben entwickelte. Laufe ich mit einer Eistüte in der Hand gegen eine Glasscheibe, fahre ich extra Hunderte Kilometer zu einer Hochzeit, um am Ziel festzustellen, die festlichen Kleidungsstücke vergessen zu haben, verliere ich mein Portemonaie ausgerechnet dann, wenn es ausnahmsweise mal 150 Euro beinhaltet, … – dann habe ich mal wieder einen Bastian produziert, eine der Situationen, die durchaus typisch für mich sind und somit mit meinem Vornamen bezeichnet werden dürfen.
Und als ich gestern Abend eine Meinung zu meinen Fred-Comics einholte, erfuhr ich, daß selbige durchaus „bastianisch“ seien – was ich selbstverständlich als Kompliment erachtete.
Ich verwehrte mich nicht gegen Spitznamen, Kosenamen, nicht gegen Bezeichnungen, die auf irgendeine meiner Eigenschaften anspielen und amüsant gemeint sein sollen, doch ist „Bastian“ meinem Denken ein Name, den ich mag und achte, der also nicht unbedingt durch minderwertige und unkreative Titulationen ersetzt werden braucht.
Ich heiße Bastian. Und das ist gut so.
[Im Hintergrund: Janus – „Auferstehung“ — „Du verlierst dich in mir…“]
In den 70ern bzw. 80ern gab es mal eine Vorabendserie: „Der Bastian“. Keine Ahnung, wo von die handelte, da ich sie nie gesehen habe. Aber wie Sie sehen lassen sich noch mehr Bezugspunkte finden, auch wenn die nicht sehr interessant sind.
REPLY:
Die Serie „Der Bastian“ lief in den Siebzigern und war damals die Lieblingsserie meiner Mutter, (weshalb ich mir dann irgendwann die Wiederholungen ansehen durfte). Die namensgebende Hauptfigur wurde vom schlaksig-jungen Blondschopf Horst Janson gespielt, für den sie damals sehr schwärmte. Ich kann mich nicht mehr an sehr viel erinnern, was den Inhalt angeht. Bastian war Student (Lehramt), der bei seiner Oma wohnte und sich unglücklich in eine junge Ärztin (irgendwas mit ‚K‘) verliebte. Vermutlich ging es auch weniger um große Handlungen, als darum, diesen liebenswürdigen, lebensfrohen jungen Mann ein wenig auf seinem Lebensweg zu begleiten.
Bei den wenigen Dingen, die mir noch im Gedächtnis geblieben sind, ist es lustig, dass ich noch immer die Titelmelodie summen kann.
Lustig ist es auch, dass ich zuerst an die Serie dachte, wo ich doch den Unendliche-Geschichte-Bastian in einem Schul-Theater-Stück spielen durfte, was zur Folge hatte, dass mir der Name nicht nur in den Probemonaten davor, sondern auch einige Tage danach anhaftete.
REPLY:
Wenn ich sage „Ich heiße Bastian, wie der Typ aus der Unendlichen Geschichte.“, wissen die wenigsten, wen ich meine…
REPLY:
Und sie kommen einfach so davon? So ganz ohne einen verzückten Vortrag darüber, was sie verpasst haben, bis hin zu der Gefahr, es in Form eines Geschenks oder einer Leihgabe überreicht zu bekommen? Ich empfinde es als erträglich, wenn mir jemand sagt, dass er es nicht mochte, aber zu erfahren, dass es nicht gelesen wurde, macht mich immer ganz hibbelig.
Wobei mein eigener Besitz des Buches genau genommen alleine dem Umstand eines peinlichen Missgeschicks zu verdanken ist…
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Naja, die meisten haben die Filme gesehen und wissen daher, was passiert. Meine bemerkung, daß das Buch ja tausendmal beser und umfangreicher sei, bewegt allerdings wenig, weil das eine Standardaussage ist: Verfilmt man, kürzt man. Fertig.
Ich selber habe ie Filme irgendwie nur teilweis gesehen, kann mich kaum an das Gesehene erinnern und bewahre mir lieber die selbsterschaffenen Bilder aus dem Buch.
Ich besitze übrigens kein einziges Exemplar davon. Aber dafür gibt es ja Bibliotheken. [Wobei Michael Ende sowieso hyperfetzt. „Momo“ oder „Der Wunschpunsch“… Fetzt.
Mißgeschick?
REPLY:
Vielleicht ist ‚besser‘ auch nicht immer das richtige Wort. Einen Film zu sehen, ist anders, ist, als bekäme man die Handlung aus vertrautem oder fremdem Mund nacherzählt, ausgeschmückt, verkürzt und interpretiert. Ich mag es, in Filme zu gehen, zu denen ich das Buch gelesen habe und auch wenn dass Gezeigte oft von meinen inneren Bildern abweicht, genieße ich diese Nacherzählung meistens, so lange ich das Gefühl habe, dass es nicht zur Unkenntlichkeit verzerrt wurde.
Jedoch erzählen Filme nur Geschichten; sie sprechen nicht mit mir. Ich habe bei ihnen nie das Gefühl, dass sie nur für mich alleine und in ihrer Form nur durch mich existieren, so wie die unendliche Geschichte zu Bastian sprach und er Phantasien neu erschuf.
Ich muss den Wunschpunsch irgendwann wieder ausleihen und bei Gelegenheit auch die Werke von ihm entdecken, die er für Erwachsene schrieb.
Um das Missgeschick zu erläutern, muss ich ein wenig ausholen: Als Kind hat mir mein Vater immer vor dem Einschlafen eine Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen. Ich erinnere mich nicht mehr an alle Geschichten, weiß aber, dass die kleine Hexe und eben auch Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer dabei waren. Als ich dann lesen lernte, waren dies dann auch (neben Comics) die ersten Bücher, an denen ich mich versuchte (vermutlich unter anderem deswegen, weil es eine Art Unabhängigkeit demonstrierte).
Viele Jahre später (nicht lange vor seinem Tod) erfuhr ich von einer Autogrammstunde, die Michael Ende in einem Kaufhaus gab. Schon alleine die Vorstellung, den Begleiter meiner Kindheit persönlich zu sehen, war… unbeschreiblich. Natürlich wollte ich Jim und Lukas mitnehmen, schon alleine deswegen, weil das Aussehen dieses Buches aussagte, wie oft es durchblättert und wie sehr es geliebt worden war und wurde (und wird).
Also gingen meine Mutter und ich dort hin. Der Andrang war riesig und die Schlange lang (zwar nicht in Moma-Dimensionen, aber trotzdem lang), wir stellten uns an und warteten. Irgendwann fiel es mir dann auf: weder meine Mutter noch ich hatten eine Tasche oder einen Rucksack dabei, in denen ein Buch hätte stecken können. Wir hatten es vergessen!
Eine rasche Heimkehr, verbunden mit einer rechtzeitigen Rückkehr war unmöglich, also lief meine Mutter zu einem der aus Ende-Werken bestehenden Berge, erwarb ein Exemplar der Unendlichen Geschichte, und ich legte ihm das fabrikneue, unberührte Exemplar beschämt zur Unterschrift vor.
Damals erschien mir das sehr unwürdig. Die Aussage war verloren gegangen; ich hatte genommen, wo ich doch eigentlich geben wollte, war ein Parasit, der sich seine Aufmerksamkeit mit Geld erschlich.
Ich bedauere es selbst heute noch ein wenig, aber gleichzeitig bin ich froh, dass es dieses Buch war, das er berührte (seltsamerweise bedeutet mir dieser Gedanke mehr als die nachweisbare Unterschrift).
REPLY:
Schöne Geschichte.
Es gab Zeiten, da holte ich mir zuweilen Autogramme der Musiker, welche soeben auf der Bühne. Ich mochte das Autogrammholen nie, doch erinnere mich amüsiert an die Geschichten, wie es geschah. Das hat irgendwie mehr Bedeutung als jeder Künstlerkrakel.