Erinnerungen

Wie es sich anfühlt, verliebt zu sein? Ich weiß es nicht mehr.
Schau nicht so traurig, ich rede wirr. Wirres Zeug.
Irgendwie weiß ich es noch. Zuweilen blitzt da ein Funke auf, wie ein Lächeln, das aus dem Innersten kommt. Und dann ist alles wieder leer. Ich bin leer, verstehst du.

Ich kann mich erinnern. Stundenlang kann ich vor mich hinträumen und mich an dich erinnern. Aber das Gefühl fehlt. Das Gefühl, wie es war, verliebt zu sein.

Es war irgendwie … voller Hoffnung, voller Gewißheit. Alles würde gut werden, solange wir zwei… Soll ich aufhören? Schmerzt es dich. Ist das eine Träne? Ich soll weitermachen? Na gut.

Verliebt sein ist einfach. Für mich war es die Hingabe, totale Hingabe. Als würde mein Ich für einen Moment mit dem Wir verschmelzen. Nein, das ist Quatsch. Kitschiger, alberner Quatsch. Ich weiß, Liebe ist nun einmal voller Kitsch und Klischees.
Doch ich verlor mich nicht. Es war eher, als hätte ich gewonnen, einen neuen Teil zu meinem eigenen Selbst hinzu gewonnen, eine neue Seite an mir, am Leben entdeckt, die ich vorher noch nicht einmal erahnt hatte. Und ich wollte mehr davon, alles wollte ich wissen. Die fremde Quelle war so reichhaltig, so bezaubernd schön, so fesselnd, so … unerschöpflich. Jeder Moment mit dir brachte neue wundersame Dinge zutage, die ich erfahren, erleben wollte. Jede Antwort barg weitere Fragen, und ich war wie berauscht von dir und deiner Intensität.

Nein, nicht jeder Moment war angefüllt mit süßesten Absonderlichkeiten, kostbaren Schätzen gleich. Nur zu gut erinnere ich mich des Bangens, all der kleinen Unsicherheiten, der mikroskopischen Mißverständnisse, die trotzdem Schatten zu werfen fähig waren, bis hin zu endlosen unbeantworteten, vielleicht unbeantwortbaren Fragen, die zu stellen ich nicht wagte, befürchtend, meine Unsicherheit und damit meine Schwäche preiszugeben. Wie gern spielte mein Geist mir Streiche, gaukelte mit Situationen und Möglichkeiten vor, die mich grämen, verzweifeln, sehen ließen. O ja, sehnen.
Sehnsucht war eine starke Feder, die mich vorwärts trieb, immer wieder zu dir. Ich wollte mich deiner vergewissern, deiner Liebe, deiner Nähe, deines Lächelns, deiner Zustimmung, deiner Quelle unerschöpflicher Wunder.

Welch dreischneidiges Schwert, das anzufassen ich wagte. Ersuchte ich dich, so bestand die Gefahr, abgewiesen zu werden. Selbst wenn mit Berechtigung, aus Liebe, aus sicheren Gründen, so doch zumeist schmerzhaft, winzige Wunden schlagend, die in einsamen Nächten zu bluten begannen. Erhörtest du mich jedoch, teiltest meine Gedanken, atmetest meine Worte, meine Liebe, so glaubte ich zu stören, dich zu bedrücken, dich mit meiner Liebe, meinem Ich, zu erdrücken. Und blieb ich zurück, enthielt ich mich meiner Sucht nach dir, war mir Pein gewiß.

Ob das immer so ist, bei jedem Liebenden? Ich weiß es nicht, hoffe es nicht – für alle, die lieben, die lieben wollen, hoffe gar, daß ich der einzige bin, der sich in solchen Abstrusitäten verlor, hoffe auch, daß es möglich sei, mir ausreichend Bestätigung zu geben, um marternde Fragenmeere zu vermeiden.

Was alles übertönte, war der Rausch, das Lächeln, das aus den innersten Tiefen strömte, das Nicht-Begreifen-Können, jemanden gefunden zu haben, der voll war von Interesse für die eigene Person, für jenes skurrile Wesen, das ich selbst war und bin. Dieser Gedanke erschien mir unbegreiflich, unfaßbar, zu groß für meinen Schädel. Nie konnte ich die Mundwinkel weit genug nach oben ziehen, dir meinen innersten Dank zu treffenden Worten formen, um der Einmaligkeit des Gefühls zu entsprechen, geliebt zu werden, von dir geliebt zu werden.

Geh nicht weg. Bitte. Ich höre schon auf. Doch glaube mir eines: Zu spüren, daß Blick und Herz, Herz und Geist in diesem Moment mir allein, meiner Liebe, meinem Denken, meinem Sein galten, war mehr, als ich mir vom Leben zu erhoffen wagte. Und ist es noch immer.

Und doch erinnere ich mich nicht. Nur Fetzen von Gefühlen durchzucken meinen Leib; sporadisch tauchen vergangene Gedanken und Situationen in meinen Erinnerungen auf, wie Träume, dunkler und heller Natur, die sich erfüllten oder nie wahr wurden. Nur Schemen von mir, ein Teil, der ich vielleicht schon längst nicht mehr bin, schon längst verlor.

Er ist noch da? Meinst du wirklich? Dein trauriges Lächeln scheint die Wahrheit zu sprechen…

Vermißt du mich? Manchmal?
Ich weiß, ich soll das nicht fragen, aber …

Dreh dich nicht weg. Sieh mich an. Bitte. Ich kenne deine Tränen. Längst. Wollte stets sie mit meinen Küssen tilgen, dir stets jeden Grund für Trauer aus dem Herzen rauben, dich mit meinem Lächeln erwärmen. Sieh mich an, schenk mir deinen Blick. Bitte. Deine verschmierten Augen vermögen nicht, deine Schönheit zu verbergen, vermögen nicht, dich vor mir zu verstecken. Ich kenne dich längst zu gut, als daß ich nicht wüßte …

Ich habe Angst, weißt du. Angst, nicht mehr zu solchen Empfindungen fähig zu sein, Angst nicht mehr lieben, mich nicht mehr loslassen, fallen, gehen lassen zu können, Angst, auf ewig an Erinnerungen zu hängen, deren Wirklichkeit ich schon heute in Frage stelle, an Träume, die uneinholbar in fernen Vergangenheiten liegen. Ich habe Angst, in dem Moment, als ich stehenblieb, als sich die Welt weiterdrehte, mein drittes Leben, vielleicht mein wahres, verloren zu haben. Ich habe Angst, dich zu tief in meinem Herzen zu bergen, um jemals anders lieben zu können. Ich habe Angst, dich trotz allem aufzugeben, Angst, dich nicht wiederfinden zu können, wenn du letztendlich nach mir suchst. Ich habe Angst, daß du niemals zurückblicken, niemals zurückkehren wirst, daß ich fernab jeglicher berechtigter Hoffnung durch Hirngespinste und Traumgebilde taumle, dich vor meine Augen male, um zu vergessen, daß ich dich längst gehen ließ. Ich habe Angst, daß ich dir selbst im Schlafe nacheile und alles zurücklasse, was einmal ich werden könnte. Ich habe Angst, zu einem abstrusen Abbild meiner selbst zu werden, zu einem Wesen, das kraftlos auf allen seinen Wegen stehenblieb.

Nein. Spar dir deine Widerworte. Längst begriff ich, daß du nicht hier verweilst. Längst begriff ich, daß ich – noch immer – nur träume. Durch Träume zu wandeln fällt leicht, geht man am Gewicht des Wirklichen zugrunde.
Ich weiß selbst, daß nicht alle Hoffnung verloren ist, daß ich eine Sammlung positiver Attribute mein Eigen nennen kann, die irgendwen irgendwo interessieren, faszinieren könnte. Ich weiß es. Und doch …

Es ist schwer, nicht an dich zu denken, mich nicht nach dir zu sehnen, nicht deinen Namen zu flüstern, wenn ich des Trosts bedarf, wenn ich mich lächelnd fühle, wenn ich die Welt mit jemandem zu teilen begehre. Es ist schwer, dich zu vergessen, dich nicht zu lieben, dich nicht noch immer zu lieben …

Du fragtest mich, wie es sich anfühlt, verliebt zu sein. Ich weiß es nicht, erinnere mich nur in Teilen, unzureichend. Doch ich trage den Keim in mir, harrend seiner Entfaltung, irgendwo verborgen in den Tiefen wirrer Träume, absurder Möglichkeiten.

Du schüttelst mit dem Kopf, als müßtest du dich meiner erwehren. Doch ich weiß, weiß es längst. Fliehe nicht, verweile noch, erzähle mir von dir, stell mir Fragen, entlocke mir das Selbst, das ich noch immer verberge, schenk mir meine Tränen, die mich leise in den Schlaf singen.
Schließ mir die Augen und schenk mir einen Moment mit dir.
Nur im Traum, ich weiß.
Und doch …