heute habe ich wieder menschen gesehen. das mag wenig sonderlich sein, doch waren die personen, die ich heimlich mit blicken bedeckte, grund für diese nun folgenden worte, dementsprechend also wesen, die in meinem schädel befremdliche fragen und gedanken entstehen ließen.
ein dicker, wahrlich dicker, junge stöberte eine weile in seinen mit unterschiedlichsten taschen übersäten hosenbeinen und zog schließlich triumphierend eine compact disc hervor, die ich ohne größere mühe als „gebrannt“ identifizierte, was mich zu hämischen gedanken bezüglich der legalität des inhalts bewegte. ich freute mich schon, auf eine entsprechende frage die worte zu vernehmen „da sind nur fotos drauf.“ oder „da habe ich meinen aufsatz für die schule draufgebrannt.“, um diese mit einem ungläubigen kopfschütteln abzuwehren und zu beobachten, wie das schlechte gewissen über die illegale untat schames- oder trotzröte in den kugelrunden schädel schießen ließe. doch ich schwieg und beobachtete verwundert, wie der dicke junge die cd ihrer hülle entnahm, umdrehte, die unterseite ausgiebig musterte und anschließend den anscheinend kostbaren datenträger wieder sorgsam im taschenwirrwarr verstaute. was genau hat diese aktion bewirken sollen? welche geheime informationen entlockte der dicke junge der cd-unterseite? glaubte er, durch seinen blick eine kostprobe der eingebrannten daten erhaschen oder die winzigen rillen, in denen sich die bits und bytes versteckten, mit seinen verquollenen augen ausmachen zu können? glaubte er gar, ein paar leise musikbruchstücke auf der spiegelnden fläche erahnen und vernehmen zu können? war er tatsächlich imstande, den kaum merklichen unterschied zwischen bebranntem und brachliegendem teil des rohlings wahrzunehmen und daraus informationen zu beziehen, die seinen wissendurst erlöschen ließen? oder war dies einfach nur eine geste, deren sinnlosigkeit ihm erst in ihrer ergebnislosigkeit bewußt wurde – wenn überhaupt?
ich wußte es nicht und wendete mich ab, dorthin, wo sich soeben eine erstaunlich gut gebaute junge dame niederließ und grazil ihre beine übereinanderschlug. für sekunden wurde ich von diesem beschaulichen bild gefesselt, solange, bis dieses wahrhaft hübsche wesen begann, kommunikation mit ihrer begleitenden freundin zu betreiben. der überaus stark ausgeprägte lokale dialekt in kombination mit dem hochdeutschfremden jugendsprachstil ergab eine mischung, die nicht nur die illusion erweckte, daß der ansehliche schädel vor wenigen wochen restlos leergepumpt und von allem sinn und inhalt restlos befreit worden war, sondern widerte mich nahezu an, schreckte mich so sehr ab, daß ich beschloß, eine haltestelle früher auszusteigen, um nicht länger über diese befremdliche verteilung von schönheit an einem einzigen menschen nachdenken zu müssen.
jenseits der haltestelle versuchte ich, die aufmerksamkeit eines geduldig wartenden hundes auf mich zu lenken, indem ich eine paar kurze pfeiflaute zwischen meinen zähnen hervorpreßte. der hund reagierte nicht, starrte stur nach vorn. ich lachte innerlich laut auf. so sympathisch war mir der fellige vierbeiner, der es nicht nötig hatte, jedem dahergelaufenen herumalberer falsche zutraulichkeiten vorzuspielen, um anderthalb streicheinheiten zu ernten.
meinen inneren notizzettel abarbeitend kehrte ich für einen weißbrotkauf in die am platze vorhandene netto-filiale ein. diese vermochte mich weder durch ein gut aufgeräumtes sortiment, durch unvergleichliche produktvielfalt noch durch finanziell besonders privilegierte kundschaft zu beeindrucken. doch das kümmerte mich wenig, neigte ich doch nicht dazu, meine stimmung von solchen oberflächlichkeiten beeinflussen zu lassen. ich schnappte mir das geschnittene und zugleich preiswerte weißbrot und stiefelte [das wort war aufgrund meines schuhwerks tatsächlich berechtigt] zur kasse, an der sich die schlangen der ungeduldig wartenden tümmelten. hinter mir befand sich eine ältere dame, die sich höflich bedankte, als ich das warentrennhölzchen [also den „kundenseparator“ oder wie er auch heißen mag] hinter meiner weißbrotpackung auf dem fließband plazierte. nahezu im selben atemzug begrüßte sie freudig die hinter ihr anstehende bekannte, eine mollige, wenig gesund wirkende frau mitleren alters mit einer abscheulichen mütze auf dem ungepflegten haar. diese reagierte mit verlegenheit auf so viel aufmerksamkeit, sprudelte ein paar leere worte in den raum und schaffte es, nach jedem satzteil ein verlegenes kichern einzubauen. ihr gesicht war puterrot, in ihrem einkaufswagen türmten sich die bierflaschen und sowohl ihr gehabe als auch ihre redeweise wies sie als „geistige sozialhilfeempfängerin“ [ich danke heimatroman für diesen wunderschönen ausdruck] aus. ich ahnte, was jetzt kommen würde, hielt in schrecklicher erwartung die luft an – und behielt recht: die ältere dame, welche bereits ihre waren neben meinem weißbrot auf dem fließband positionierte, formulierte, ohne daß bisher inhaltsgefüllte worte gefallen wären, die schreckliche frage: „und sonst…?“
hätte sie mit mir geredet, wäre sie von einem redefluß überwältigt worden, der sich vermutlich umgehauen hätte. obgleich ich verstehe, daß zu kennenlernzwecken smalltalk zuweilen ganz nützlich sein kann, verachte ich ansonsten derartige redeweise. ich mag es nicht, sinnentleert über das gestrige, heutige und morgige wetter zu reden, mag es nicht, ohne wirkliches interesse nach meinem befinden gefragt zu werden. und das letzte, was ich in die ohren gepreßt bekommen möchte, ist: „und sonst…?“. diese verkrüppelte frage stellt für mich die abscheuliche inkarnation des verweifelten versuches dar, krampfhaft ein gespräch betreiben zu wollen, nein, zu müssen, bei gleichzeitigem maximalwert an desinteresse und unkenntnis der lebensumstände des gegenübers. jede konkretere antwort auf diese „frage“ ist vollkommen falsch und überflüssig, weil nichts anderes erwartet wird als „naja…“, „es muß ja.“ oder „ganz gut.“. wehe dem, der von seinen sorgen – oder noch schlimmer: von seinen freuden – berichtet.
beiden gesprächsteilnehmerinnen war die situation sichtlich unangenehm. wieso hatten sie sich ausgerechnet hier treffen müssen? wieso hatten sie sich überhaupt begegnen müssen? sie maskierten sich mit einem weiteren schwall leerer worte und verlegenen lächelns, während ich mich eilig bezahlend dem geschehen entzog und in die nächstbeste straßenbahn stieg, wo ich lächelnd ein kind beobachtete, das sich während der ganzen fahrt selig mit einer handbürste beschäftigte und zusammen mit seiner großmutter prächtig über diesen nützlichen und zugleich ungemein vielfältig anwendbaren und lustigen gegenstand amüsierte. es gibt noch hoffnung, dachte ich, stieg alsbald wieder aus und grinste in mich hinein, als ich bemerkte, wie albern ich aussehen mußte mit der packung weißbrot unter meinem arm.