der morgendliche wurm im ohr 7

„du sau.“

meine ersten worte am heutigen tage galten der weckapparatur. das eigentliche läuten hatte ich zwar als störend, jedoch nicht als unangnehm empfunden. in einer spontanen anwandlung von großzügigkeit mir selbst gegenüber hatte ich mittels der omniösen „snooze“-funktion [ich mußte soeben endlich mal nachschauen, wie man dieses alberne wort am besten übersetzt] meine schlafenszeit um fünf winzige minuten verlängert. ich ließ die gedanken treiben und bereitete mich innerlich auf das aufstehen vor. ich denke, der tag wäre nicht so schlimm, wenn das elende aufstehen wäre, das in jenen augenblicken immer so wirkt, als würde man die schöne gegen die schlechte alternative eintauschen. kurz bevor ich in den zustand gelangte, in dem ich mich selbst davon überzeugt hatte, daß es an der zeit wäre, mich zu erheben, gab der wecker erneut unangenehme geräusche von sich. diesmal nervte es mich und entlockte mir oben erwähnte beleidigung – und zwar einzig und allein, weil das klingelding unter garantie mit bösartiger häme auf den ungünstigsten augenblick zum klingeln gewartet hatte, um mich meiner selbstüberredung zu entreißen und mich mit einem läutenden tritt in den arsch aus den federn zu scheuchen.

wenige augenblicke später stellte ich fest, daß ich schon mehrere momente lang das duschwasser auf meinen leib rieseln ließ, ohne mir dessen bewußt zu sein. ich dachte kurz nach und begriff, daß als nächstes das haarwaschmittel an die reihe käme. ohne zögern griff ich danach und kleckste mir ein paar tropfen davon auf die hand. allerdings ließ mich irgendetwas stutzen. unsicher fuhr ich mit der unbeklecksten hand ins haar – und stellte fest, daß dieses längst shampooniert war, daß ich also mein haupt längst mit dem haarwaschmittel beschmiert hatte, ohne mir dessen bewußt gewesen zu sein, ohne mich daran erinnern zu können. fatal.

immerhin verlief der restliche reinigungsvorgang ohne weitere zwischenfälle. außerdem war es mir vergönnt, dem morgendlichen wurm in meinem gesäuberten gehörgang beachtung zu schenken:

chamber – „in your eyes“

In your eyes I see
beautifully and cruelly
truth within eternal love

[…]

But I wouldn’t want to be
a heartbeat away.
You gave me everything you had
and all I see is you.
I want to thank you,
for everything you are and do

zum glück weiß niemand, daß ich häßlich bin.

mein lächeln entblößt meine seele, abgründe ergreifen von den blicken besitz. das lächeln wird zum schauermärchen; was sein könnte, birgt einen albtraum. in meinen augen spiegeln sich tränen wieder, werfen die formlosen schatten des geistes in die leere der welt, erzählen von zu vielen gedanken, die wirr und unvollkommen ein dasein fristen, das meines und zugleich keines zu sein scheint. zerzaustes haar spielt mit den winden, verdeckt mein zerfurchtes antlitz. jede silbe aus meinem mund birgt einen schrei oder ein grelles, tonloses lachen, die aussichtslosigkeit des seins betreffend. der spiegel zeigt eine leichenbleiche silhoeutte, irgendwo am rand der eigenexistenz gestrandet. kraftlos zittern die dürren spinnenfinger; ein hauch meiner selbst formt meine gestalt. die stimme flüstert welke worte, doch verbirgt mich längst nicht mehr.

doch aus der ferne brennt mein leben. worte entströmen meinen sinnen, verbinden sich zu wunderlichkeiten, malen ein netz feinster silbergedanken in die trübnisse der welt. ein lächeln entsteht auf papier, gerinnt zu zeilenbergen. ich schreibe mich schön. der autor ziert sich selbst mit jeder silbe, kritzelt einen seligen schleier über seine seele, entfremdet sich zum guten auf der suche nach dem ich.
aus der ferne betrachtet erwachsen mir weiße zauberschwingen, zerren mich hinauf in die weiten des himmels, lassen fliegen, was längst am grunde zerschellte. ich ziehe fremde blicke in bizarre traumwelten aus licht, kreiere mit winzigen zeichen eine hoffnung, deren größe mit dem geiste nicht zu erfassen ist. liebe wuselt vergnügt zwischen den worten herum, und irgendwo wartet ein leben, von ihr geküßt zu werden.

mit flüssigem wort schreibe ich träume, reiße die narben der wirklichkeit von suchenden gesichtern.

zum glück weiß niemand, daß ich häßlich bin.

der morgendliche wurm im ohr 6

es ist erstaunlich, wie viele gedanken in meinem kopf auf ewig unerfüllbar bleiben werden, wie viele träume nur illusionen darstellen, bilder, die ich mir ersinne, um mich für den moment zu trösten, hoffnungen, die ich mir ausmale, um die wirklichkeit für einen augenblick zu stillen – und die mir immer wieder den leidigen schmerz des erwachens schenken…

beim heutigen wurm in meinem ohr handelt es sich um lied, das ich zuletzt vor zwei tagen bewußt vernahm.

pink floyd – „let there be more light“

der morgendliche wurm im ohr 5

eigentlich fällt es mir selbst schwer, daran zu glauben, doch tatsächlich ist es so etwas änliches wie fleiß, das mich davon abhält, tiefschürfende gedanken zu formulieren und niederzuschreiben; das mich davon abhält, das weltweite netz mit meiner nahezu unaufhörlichen anwesenheit zu beehren und zu erfreuen; das mich davon abhält, kilometerlange texte zu formulieren, deren sinn und inhalt fragwürdig ist; das mich davon abhält, den geneigten leser mit stetig neuen ergüssen meinerseits zu belästigen.
immerhin bin ich fähig, wenige sätze zu formulieren, beinhaltend das morgendliche gewürm in meinem gehör. nachdem der gestrige tagesanfang mich mit derlei getier verschonte, bin ich stolz, den heutigen wurm vorstellen zu dürfen:

my dying bride – „a cruel taste of winter“

erwähnenswert, aber vermutlich bedeutungslos, ist wohl der umstand, daß ich dieses wahrlich wundershöne lied erst gestern nachmittag in meine gehörgänge füllte. fraglich bleibt natürlich, warum der knuslige wurm sich ausgerechnet jenen unter den vielen gestern vernommennen klängen auswählte…

ätherisch

dein duft befüllt den raum
malt sanfte formen in die luft.

ich rieche
was dein lächeln war
verspüre deine nähe.

ich koste
was dein atem war
vernehme deine worte.

dein licht befüllt den raum
erinnert mich an leben.

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ich rannte

noch nie war es gelungen, trotz unzähliger versuche.

trotzdem. vielleicht würde es ja diesmal klappen. ich schloß die augen und begann zu rennen. ich flog über den grauen asphalt, sauste an den lebenden vorbei, rauschte durch die fänge der zeit. die schatten folgten mir, waren nahe. ich konnte sie nicht abschütteln. ich rannte.

das lächeln meiner zuversicht schwand, wich von mir, das licht in mir bgeann zu welken. die schatten wuchsen. bizarre formen des absurden. hinter mir. in mir. ich rannte. in wollte nicht innehalten, nicht einen moment verweilen, nicht zurückblicken, nicht nach vorne. ich wollte rennen, rennen, rennen, wollte fliehen und immer wieder fliehen. noch nie war es mir gelungen. noch nie. ich rannte.

welten zogen forbei, zeigten sich als wilde, absonderliche muster, kräuselten sich vor meinen füßen und verlachten mich. ihr gelächter klang wie mein geflüstereter schrei. die richtungen verzweigten sich zu kranken fratzen. sackgassen bemächtigten sich meiner wege. ich wußte, daß alles vergebens sein würde. doch ich rannte.

wenn ich nur wollte, konnte ich entkommmen. wenn ich nur wollte, konnte ich einfach entfliehen, konnte ich alles abschalten, alles vergessen. ich brauchte nur zu rennen, keinen atem zu holen, keine pause einzulegen, stetig zu rennen, immerfort. das ziel hatte keine bedeutung, weilte es doch in ferner zukunft. die zukunft lag brach, doch mochte ich sie nicht rühren, erfand ständig neue wege, die an ihr vorbeiführten, rannte bei tag und nacht, rannte ohne ruhe.

ich ließ das vergangene hinter mir. doch die schatten wichen nicht. in manchen stunden fürchtete ich, sie könnten mich verschlingen, fürchtete, vom dunkel eingeholt zu werden. dann rannte ich schneller, noch schneller, preßte die augenlider fester zusammen und suchte die letzten kräfte in mir. manchmal konnte ich nicht länger, wollte nicht mehr, sehnte mich nach rast, nach schweigen, sehnte mich nach stillstand. doch wenn ich die schatten hinter mir keuchen hörte, wenn ich sah, daß die zukunft grinsend meiner harrte, begann ich erneut zu rennen. ich konnte nicht fliehen, das wußte ich. doch ich wagte es, würde es wieder und wieder wagen. ich rannte.

aber wie sollte ich jemals mir selbst entkommen, wie sollte ich meinen pfaden entrinnen, wie der zukufnt entweichen? ich konnte rennen und rennen und würde doch wieder in meinen armen landen, keuchend, erschöpft, doch ruhelos und voller furcht. ich konnte rennen und rennen und würde doch nur kreise laufen, würde mich am anfang wiederfinden, das wissen verspürend, nicht entkommen zu können, zu jedem punkt der zeit ich selbst zu sein. ich konnte die augen so fest schließen, wie irgend möglich, doch immer wären es die schatten, immer wären es die wirklichkeiten, die sie wieder aufrissen, die mir ihre schrecknisse einträufelten und mich sehen ließen, die meinen planlosen lauf stoppten und mir den letzten atem raubten.

doch diesmal nicht. ich rannte, würde weiter rennen, weiter und weiter, die augen bis ins herz geschlossen, keinen atemzug preisgebend, keinen gedanken verschenkend. ich rannte, würde alles zurücklassen, würde entkommen, würde entfliehen, würde rennen, bis ich fand, wonach ich nie suchte, würde rennen, bis das leben meinen namen kannte.

ich rannte.