FFFfF: Im Schnee

Schnee. Mal wieder. Irgendwie taucht der Wunsch danach ständig auf. Vielleicht auch morgen.

Und so.


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[Im Hintergund: Grabnebelfürsten – „Von Schemen und Trugbildern“]

Der Held des Abends

Es ist eigentlich erstaunlich, daß nicht nur ich, sondern die gesamte Menschheit diese Thematik bisher absolut vernachlässigt hat, obgleich sie – insbesondere für uns Jugendlich-Erwachsene – von tragender Bedeutung ist.

Ich gebe es gerne zu: Ich gehöre zu den Menschen, die, bevor sei des Abends weggehen, dazu neigen, sich reinlich fühlen zu wollen. Dazu gehört oftmals nicht nur ein kurzer Blick in den Spiegel, sondern tatsächlich auch der Sprung unter die heiße Dusche, die dortige Säuberung von Haut und Haaren, das Bürsten der Zähne [zumeist außerhalb der Duschkabine] und das Elektrorasieren unansehnlicher Gesichtsstoppeln [immer außerhalb der Duschkabine].

Doch selbst wenn das angenehm duftende Haar endlich trocken gefönt und in annehmbar gut aussehende Lage gebracht worden ist, selbst wenn der eigene Leib aus jeder Pore verlockend sauber zu duften scheint, selbst wenn ein Frauen verführender, den eigenen unterstützender Zusatzgeruch in bedürftigen Körperregionen verteilt worden ist, selbst wenn ich mich ausreichend an hautpflegenden Lotionen bedient habe, selbst wenn alle erforderlichen Selbstreinigungsprozesse abgeschlossen sind, gebe ich mich nicht zufrieden.

Vor dem halshohen Spiegel posiere ich mehre Minuten lang, bis ich Kleidungsstücke gefunden habe, die meiner eigenen Reinlichkeit entsprechen und zugleich dafür Sorge tragen, daß ich mich in ihnen wohl fühle. Tatsächlich kann es sich bei ihnen um die billigsten Schlumpersachen aus Opas Mottenkiste handeln – solange ich, während sie sich auf meiner sauberen Haut befinden, in ihnen spüre, mich so gekleidet zu haben, wie ich mich fühle, und solange sie sauber genug sind, um jeglichen Eindruck auszuräumen, ich ginge in den tagsüber getragenen Normaloklamotten aus.

Ich gebe es gerne zu: Ich mag es, mich zu mir gefallender Musik zu bewegen. Und wenn dabei – nicht zuletzt unterstützt durch die stets nur unzureichend funktionierende Kalt- und Frischluftzufuhr – meine bereinigten Poren Schweißflüsse auswerfen, so erachte ich das als zu meinen Bewegungen gehörig. Und wenn Freunde, Bekannte und Nichtbekannte sich dazu entschließen, die ohnehin fehlende Atemluft mit Zigarettenausdünsten zusätzlich olfaktorisch zu belasten, so erachte ich dies als zum Abend gehörig.

Wenn ich also Stunden später feststelle, Geldbörseninhalte gegen Inhalte anderer Art eingetauscht zu haben, frage ich mich stets, wozu das anfängliche Prozedere nötig gewesen war: Meine Haut ist verschwitzt, meine Frisur zerzaust, mein Haar vom Schweißfluß ein wenig befettet und mit dem selben widerlichen Kaltrauchgestank durchzogen, der auch jedem einzelnen meiner Kleidungsstücke innewohnt. Alles an mir, inklusive meines Schuhwerks, bedürfte nun einer Totalreinigung.

Wäre es nicht einfacher, von vorneherein alles beim alten zu belassen, sich vor dem Ausgehen nicht extra zu duschen, zu rasieren, zu waschen, zu fönen, zu stylen, zu putzen, anzuziehen? Wäre es nicht einfacher, die alten Klamotten des Tages am Leibe zu behalten und die zusätzliche, abendliche Beschmutzung aufgrund der ohnehin fehlenden Totalreinlichkeit mit einem Schulterzucken zu akzeptieren? Wäre es nicht einfacher, jeden Streß zu vermeiden, möglicherweise ein oder zwei schickere Kleidungsstücke aus dem Schrank zu zerren, jedoch ansonsten zusätzliche Säuberungsaktionen für unnötig zu erachten?

Denn unnötig sind sie durchaus. Schon nach wenigen Minuten an einer menschbefüllten, stimmungsguten Lokalität ist der eigene Leib, inklusive Hülle, bereit für die Reinigung. Theoretisch könnte man alle fünf oder zehn Minuten von einer Party wegrennen, nach Hause eilen und die gesamte Prozedur des Säuberns und Kleiderwechselns wiederholen. Das brächte sicherlich einen beträchtlichen Aufwand mit sich, steigerte aber nur die ohnehin vorhandene Sinnlosigkeit der abendlichen Eigenvorbereitungen in die Bereiche ersichtlicher Albernheit.

Die Logik überzeugt, sollte spätestens jetzt ein Hand-gegen-Kopf-Klatsch des Begreifens [„Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen?“] beim Leser verursacht haben. Und wenn dann alle abendlichen Weggeher in abgetragenen, ungepflegten Klamotten, mit zerzausten Frisuren und verwischtem Make-up, mit stinkenden Achseln und rauchigem Atem die Lokalitäten begehen, werde ich mich hämisch grinsen und die Welt um mich drehen lassen.
Denn dann bin ich der funkelnde Diamant an der Spitze des staubigen Kohlehaufens, der wahre Held des Abends…

FFFfF: Die Überraschung

Ui. Mal wieder besteht Anlaß zu rauschvollen Zelebrationen, wird doch am heutigen Tage der 80. „Fledermaus Fürst Frederick fon Flatter“-Comicstrip veröffentlicht. Jedoch halte ich es für überflüssig, mich selbst zu lobpreisen. Das dürfen andere für mich erledigen.

[Und wenn ich mir was wünschen dürfte, wäre es wohl Schnee.]


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Arbeiten in Deutschland

Eigentlich ist es erstaunlich, wohin das Arbeiten in Deutschland gekommen ist. Anstatt untertage in kinderhohen, lichtlosen Schächten zwölf Stunden lang unter extremer Luftverknappung nach Millionen Jahre alten Pflanzenresten zu buddeln, sitzen wir bequem am eigenen Bürorechner, spielen im klimaanlagenbelüfteten Räumen an ergonomisch eingerichteten Plätzen Nonsensspiele, gehen ins Internet, wo wir Weblogs lesen und Podcasts hören und jede andere Möglichkeit, die Zeit zu vertreiben, gierig aufsaugen.

Ich enthalte mich natürlich solch dubioser Arbeitgeberausbeutungen. Schließlich bin ich Student, arbeite nicht und habe genug Zeit, jeden Tag so viel zu surfen, wie ich will. Mein Büro ist zu Hause und wenig ergonomisch eingerichtet. Auch beschränkt sich die Klimaanlage auf Fenster und Heizung. Letztere wird allerdings nach Mitternacht abgestellt, was nicht immer erfreulich ist. Leider konnte ich nicht herausfinden, wann sie wieder angestellt wird, da ich um diese Zeit vermutlich weder wach noch fähig bin, irgendetwas zu realisieren, was nicht bettartig aussieht.

Natürlich werde ich nicht bezahlt, noch nicht einmal vom Bafög-Amt, das noch immer auf meine versprochenen, ausgefüllten Anträge wartet. Ich bin aber auch ein Idiot.

Geld brauche ich trotzdem. Die Flatrate will ja irgendwie bezahlt werden. Und ab und zu Nahrung aufzunehmen, kann auch nützlich sein. Also arbeite ich. Naja, nicht wirklich. Denn wenn ich arbeite, mutiere ich zu einem von diesen ewigen Eigentlich-Typen.
„Ich mache das hier ja nur nebenbei. Eigentlich bin ich Student/Künstler/wasBesseres…“

Ich arbeite im Supermarkt und sortiere Wurst ein. Lecker. Ich vermute, ich habe noch nicht erwähnt, daß ich Wurst – abgesehen von magerem Schinken und diversen Salamisorten – verabscheue. In „meinem“ Regal gibt es eine Buäx-Ecke, angefüllt mit Dingen, die ekliger sind als das, was ich heute – bereits gärwarm und fruchtfliegenüberwuchert – in den Biomüll warf. Die Ecke umfaßt übrigens mindestens ein Drittel des gesamten Wurstbereiches.

Oder ich arbeite in einer Firma, die für das Land Sachsen-Anhalt Verkehrserhebungen durchführt und Studenten in Busse stopft, auf daß sie die Ein- und Aussteigenden, die Kinderwagen und Rollstühle [zuzüglich ihrer Benutzer], die Hunde [nicht, wenn sie in Korb oder Tasche verstaut sind] und Busfahrer [nur in der Straßenbahn] zählen und mit albernen Fragen über Wegziel und Fahrtbeginn beglücken mögen. Daß mir früher bei längeren Busfahrten immer schlecht wurde, hatte ich verdrängt/vergessen. Allerdings ging es mir am ersten Arbeitstag nach etwa zwei Stunden befragender Busfahrt wieder durch den Kopf – zusammen mit dem Frühstück und etwa zehn Litern Magensäure. Glücklicherweise außerhalb des Busses. Eine weitere Tapferkeitsstunde später erlöste ich mich und brauchte zwei Tage, um mich wieder so ähnlich zu fühlen wie ich selbst.

Derzeit arbeite ich als Hörbuchhörer. Eigentlich als Hörbuchkorrekturhörer. Aber das Wort ist so lang, daß es sich niemand richtig durchliest. Deswegen beschränke ich mich zumeist auf die erste Variante. Klingt auch besser. Bisher arbeitete ich nur einmal, dafür aber fünf Stunden hintereinander. Das ist viel für jemanden, der sich beim heimischen Arbeiten gerne mal ein Päuschen gönnt, sobald das befriedigende Ich-habe-was-geschafft-Gefühl sich blicken läßt – also zuweilen auch schon nach zehn Minuten.

Ich hatte fünf Stunden lang nichts anderes zu tun, als einem alten Mann zuzuhören, der über seine Erlebnisse in den Jahren 1941 bis 1945 berichtete, und meiner naturgegebenen Pingeligkeit folgend irgendwelche Fehler zu notieren. Ich fand nicht viel. Gut so. Nicht minder erfreute mich, daß das Hörbuch durchweg interessant war – auch wenn mir nach dem Hören der CDs 5, 6, 14 und 22 ein wenig der Zusammenhang fehlte.

Nebenbei surfte ich im Internet. Das traute ich mich nicht, insbesondere da ich feststellte, daß das Lesen von Nachrichten oder Weblogeinträgen mich sehr ablenkte. Also beschränkte ich mich auf einen sporadischen Mail- und Cartoonseitencheck, der auch den nicht minder sporadischen Besuchergängen der Chefin zugute kam – sie ertappte mich nur einmal, ließ sich aber nichts anmerken. Wahrscheinlich wollte sie einen derart perfekten [und gutaussehenden] Hörer wie mich nicht verlieren.

Allein die Möglichkeit jedoch, im Internet umherklicken zu können, empfand ich als enorm.
„Früher“, hätte ich am liebsten aufspringend geschrien, mit meinem Krückstock in der Luft herumstochernd, „Früher hätte es sowas nicht gegeben! Früher mußten wir noch richtig arbeiten! Zuckerbrot und Peitsche, sag ich da nur. Zuckerbrot und Peitsche!“

Leider/Glücklicherweise bin ich nicht alt genug, um solche Bemerkungen von mir geben zu können, war doch die einzige Zeit, in der ich wirklich hart arbeiten mußte, mein Zivildienst gewesen. Der ist nicht nur lange her, sondern war auch nur so hart, weil ich fünf Uhr morgens aufstehen mußte, um nicht zum wiederholten Male unpünktlich im Krankenhaus einzutreffen. Ansonsten habe ich kaum eine langweiligere Zeit verlebt als den Zivildienst. Die unzähligen Möglichkeiten, so zu tun, als sei ich beschäftigt, nur um zusätzlichen Arbeiten oder eventuellem Ärger aus dem Weg zu gehen, habe ich zwar längst vergessen, könnte ich aber notfalls wieder in Erinnerung rufen.

Als ich vor meinem eigenen Rechner saß und Hörbuchwort für Hörbuchwort vernahm, mich in meinem Bürostuhl zurechtlümmelte und entspannt der Sprecherstimme lauschte, stellte ich fest, wie gut es doch vielen Arbeitenden heutzutage zu gehen scheint.
Ich habe keinen Einblick in das Früher, doch begehre ich auch nicht danach. Mir reicht es aus, verallgemeinernd festzustellen, daß Arbeiten früher härter gewesen sein muß. Und wie jeder weiß, sind Verallgemeinerungen sowieso immer falsch. Oder richtig. Weiß ich nicht mehr.

Ich zeichnete. Das kann ich einigermaßen gut, und weil es auch entsprechende Aufträge gab [Das hört sich wichtig an. Gut so.], krakelte ich mit dem einzig auffindbaren Zeichenutensil auf meine mitgebrachten weißen Blätter. Kugelschreiber sind für solche Zwecke ungeeignet, doch in der Not esse ich auch Blutwurst [Ja, das ist tatsächlich eine mißglückte Abwandlung des Not-Teufel-Fliegen-Klassikers.].

Innerhalb von fünf Stunden kann man einiges auf Blätter krakeln, selbst wenn man – wie ich – pedantisch und kleinlich dazu neigt, das eigene Werk überstrenger Kritik unterziehen zu wollen. Erfreulich war, daß weder der Sprecher meine Zeichnerei, noch meine Stiftbewegung den Lauschprozeß, noch die Chefin meine Nebenbeschäftigung störte.

Nach fünf Stunden gab ich CD 22 – die letzte ihrer Art – ab und verabschiedete mich.
„Wollen Sie wiederkommen?“, fragte die Chefin, von ihrem Arbeitsplatz aufblickend. Ich glaubte, ein sehnsüchtiges Funkeln in ihren Augen gesheen zu haben. Vielleicht war es aber auch nur ein Deckenlampenlichtreflex auf ihren Brillengläsern.

Wollte ich wiederkommen?
Ich dachte an den bequemen, klimatisierten Arbeitsplatz, den eigenen Rechner mit Internetanbindung und die drei bekritzelten Blätter, ich dachte an gerade-noch-so nicht vollgekotzte Busse und riesige Buäx-Wurstregale. Doch ich hielt mein Strahlemanngesicht professionell unter einem Pokerantlitz [Leider spiele ich kein Poker. Deswegen schien der Strahlemann in mir wohl ein wenig durch.] versteckt und meinte lässig:
„Na klar, babe!“
Allerdings ohne das „babe“.

FFFfF: Der Weihnachtsmann

Nun scheint es langsam gelungen zu sein, mich in einigermaßen weihnachtlich-vorfreudige Stimmung zu versetzen. Zwar weiß ich kaum, was ich wem schenken werde, oder gar, was ich mir wünsche, doch der weihnachtliche Trubel, der Nikolaustag, mein Adventskalender, das tägliche Weihnachtsliedkapitel, das Wichteln im Freundeskreis, das gestrige Mensa-Weihnachtsessen, die vielen Best-Of-Alben im Audiofachmarkt, die fehlenden Blätter im Kalender, die penetrant blinkende Fensterbeleuchtung überall, die ständige Präsenz von Glühweinduft, … – all das erwirkt in mir einen Bezug zum bevorstehenden Fest, der auch vor Fred und seinen Freunden nicht Halt macht.
Es ist also zu befürchten erwarten, daß nicht nur der heutige, sondern auch die Freds künftiger Tage der weihnachtlich-winterlichen Thematik frönen werden…


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Dank

Und ich ertappte mich, wie ich mich bei dem gerade fertig gelesenen Buch leise bedankte, weil es ein gutes gewesen war…

[Im Hintergrund: Adorned Brood – „Asgard“]

Schneereste

Auf dem Asphalt kleben letzte Reste alten Schnees.
„Wie vergessene Plastiktüten.“, denke ich.

[Im Hintergrund: Janus – „Winterreise“]

Menschen 21: Geflüstert, gefaltet, verloren

Hinter mir stehen zwei Frauen an der Kassenschlange: Mutter und Tochter. Die Tochter, die selbst längst Mutter ist, zählt ihre Weihnachtseinkäufe auf, erklärt, wer warum welche Geschenke erhalten wird. Plötzlich senkt sie ihre Stimme:
„Der Bademantel hat nur acht Euro gekostet.“
Es war fast, als schämte sie sich ihres Preisbewußtseins, als wäre es verpönt, Sonderangebote zu nutzen.

Im Elektrofachmarkt beobachte ich einen Mann, der versucht, mit einer Verkäuferin zu flirten, indem er das vor ihr stehende „Sie hören gerade“-Album von Xavier Naidoo in die Hand nimmt, auseinanderfaltet und betrachtet, während sie begeisterte Kommentarfluten über die Musik in seine Richtung entläßt. Als der Wortschwall verebbt, versucht der Mann vergeblich, das Album wieder ordnungsgemäß zusammenzufalten, schafft es auch nach mehreren Anläufen nicht, den Anfangszustand wiederherzustellen, knickt es dann so, daß es in seinen Augen richtig aussieht, und verabschiedet sich. Mitleidig betrachte ich das Ergebnis seiner Bemühungen: schmerzhaft falsch gefaltet und verdreht – im Namen der Liebe..

An der Tür der Straßenbahn steht ein kleines Mädchen mit rosa Schal und weißer Wollmütze. Es starrt mit großen Augen zu mir herauf, schenkt mir ihr vollstes Interesse. Die Bahn hält, und das Mädchen steigt an der Hand ihrer Mutter aus. Ihre Blicke lassen mich nicht los, betrachten mich bewundernd, fragend. Auch ich trete ins Freie, sehe ihr nach. Im Haltestellenmenschgewimmel verliert sie mich, und während ihre Mutter sie eilig hinter sich herzieht, streifen ihre Blicke durch die Gegend, auf der Suche nach mir, der nicht weiß, warum.

[Im Hintergrund: Janus – „Winterreise“]