Es schneite.
Den ganzen Tag waren die Schneeflocken wild durch den Himmel geflogen, hatten sich ausgetobt und nun, da es sich dem Abend zuneigte, kehrte allmählich etwas Ruhe ein. Langsam schwebte eine Flocke herab, setzte sich auf meinen Handschuh und seufzte.
Schneeflockenseufzer sind nicht nur sehr sehr leise, sondern auch das dritttraurigste Geräusch auf Erden.
Tränen schossen in meine Augen und mit belegter Stimme fragte ich: „Was ist denn los?“
„Och nichts.“, wisperte die Schneeflocke und seufzte erneut.
Dieses Mal stach mir das Seufzen tief ins Herz. Alle Farbe schien aus der Welt geflohen zu sein.
„Sag schon.“, bat ich sie, hoffend, sie würde nicht noch ein drittes Mal seufzen.
Doch die Schneeflocke begann zu reden, reihte leise flüsternd Wort an Wort, und wenn ich mich anstrengte, konnte ich jedes einzelne verstehen.
„Ach.“, sagte sie. „Ich bin den ganzen Tag durch die Luft geschwebt. Habe versucht, das Unvermeidliche zu vermeiden. Doch nun, wenige Zentimeter von meiner Bestimmung entfernt, kann ich es nicht mehr hinauszögern: Ich werde auf dieser Wiese landen.“
„Aber die Wiese ist doch wundervoll!“, entgegnete ich, ließ meine behandschuhte Hand kreisen, zeigte ihr die Pracht der von frischem Schnee bedeckten Wiese.
„Überhall liegen Schneeflocken. Und morgen kommen die Kinder und werden mit euch spielen!“
„Das ist es ja.“, sagte die Schneeflocke und seufzte ein drittes Mal.
Mir versagte die Stimme vor Traurigkeit.
„Die Kinder werden kommen, werden mit uns spielen, werden aus uns einen Schneemann bauen.“
Sie hielt inne, sah mich an.
„Ich will kein Schneemann werden!“, rief sie.
„Aber wieso denn nicht?“, entgegnete ich sanft.
„Weil ich weiblich bin!“
Ich nickte. Da hatte sie recht: Weibliche Schneeflocken sollten nicht zu Schneemännern werden.
Ohne lange nachzudenken, kniete mich hin und begann, mit meiner freien Hand den unberührten Schnee zu einem Haufen zusammenzuschieben und zu formen. Es dauerte eine Weile, doch schließlich war ich fertig und blickte voller Stolz auf mein Werk.
„Was soll denn das sein?“, fragte die Schneeflocke kritisch.
„Ein Motorrad!“, antwortete ich zufrieden.
„Ein Schneemotorrad?“, fragte die Schneeflocke.
„Ja.“
„Ein echtes Schneemotorrad?“
„Ja!“
„Perfekt!“, rief die Schneeflocke, sprang von meinem Handschuh und schwebte zielgerichtet auf den Lenker des Schneemotorrads.
„Perfekt!“, sagte sie erneut, und ich stapfte davon.