Zwei Nachträge

Nachtrag 1:
Soeben beendete ich die Lektüre des Werkes „Der Boden unter ihren Füßen“ von Salman Rushdie. Ich will mich nicht mit Buchkritik aufhalten, sondern nur anmerken, daß mich das Jahr 1989 noch immer nicht loszulassen scheint. Das Buch beginnt im Jahre 1989, schweift dann in die Vergangenheit ab und arbeitet dann wieder auf das Jahr 1989 hin, in der die „Heldin“ auf tragische Weise ums Leben kommt. 1989 als Höhepunkt eines 800-Seiten-Romans.
Langsam fühle ich mich verfolgt…

Nachtrag 2:
Nach Ablenkung suchend, betrat ich das Zimmer meiner Mitbewohnerin. Diese saß gerade, eine Tomaten-Chili-Fertigsuppe verspeisend vor ihrem Fernseher, irgendeine alberne deutsche Pro7-Eigenproduktionsweltpremiere betrachtend. Ich halte dem deutschen Film im Allgemeinen nicht viel Negatives vor [wenn man davon absieht, daß ich mich zuweilen mißfallend über schlechte Hollywoodkopien äußere], weiß um sehenswertes deutsches Filmgut. Mein Verhalten nachträglich betrachtend komme ich jedoch zu dem Schluß, wie gut es ist, nicht fernzusehen.
Ich betrat das Zimmer, erkundigte mich nach der Mahlzeit, erkundigte mich nach dem Film, sah hin, zehn Sekunden, zwanzig Sekunden, eine Minute. Dann schüttelte ich mich, stand auf und verließ das Zimmer. Vor der Tür blieb ich stehen, stellte verwundert fest, wo ich war, daß ich soeben ohne bewußte Selbstkontrolle das Zimmer verlassen hatte und fragte mich nach der Ursache. Ekel, war die Antwort, die in meinem Kopf erklang, tiefgreifender Ekel, der sich auf meinen gesamten Körper auszubreiten schien, der mich befiel, mich zusammenzucken, mich fliehen ließ.
Noch einmal schüttelte ich mich angewidert und floh in mein Zimmer.

Schuldig

Gestern telefonierte ich mit C. Sie wollte mich zu einer Party einladen, zu der sie selbst nicht zu gehen wünschte – aber mußte. Ihr Bruder sei dort, und ihr Freund. Und natürlich eine Ansammlung mir nicht sympathischer Menschen.
Müde, träge und wenig homophil lehnte ich dankend ab, wollte schon auflegen, als ich bemerkte, daß das Gespräch noch nicht zu Ende war, daß C noch etwas auf dem Herzen hatte.

Ihr Freund schenkte ihr nicht genügend Beachtung, rannte ohne Perspektiven durch die Welt, antriebslos, lebte nur für Partys, auf denen er aufblühte und sein Trübsals-Ich in ein verrückt-sympathisches Scheinbild verwandelte. Auf Partys lästerte er mit Freunden, mit Kumpels, über Frauen, auch über seine eigene Freundin, machte anderen weiblichen Wesen Komplimente. C fühlte sich vernachlässigt, brachte das zuweilen zur Sprache und erntete nur ein standardisiertes „Ich werde mich ändern.“

Ich lachte traurig, als C mir das erzählte, glaubte ihn nicht zu derartigen Veränderungen bereit. Können sich Menschen ändern? Vermutlich. Aber nicht so, nicht, wenn sie die Notwendigkeit nicht erfassen. Und das tat er nicht, traf Verabredungen, organsisierte Feierlichkeiten, ohne daran zu denken, daß seine Freundin C inmitten ihres Studiums steckte, nicht immer Zeit für derlei hatte, möglicherweise auch mal mit ihm allein zu sein wünschte. Sein Mittelpunkt war er, waren seine Freunde, seine gute Laune, die er nur auf Partys fand. Vor C zeigte er nur seine Schwächen, seine Unsicherheit.
C wollte nicht zu der Party, aber mußte, war verpflichtet, hatte mich eingeladen, um sich nicht zurückgelassen zu fühlen.

Wir redeten lange. Weswegen sie mit ihm zusammen sei, fragte ich. Wegen seiner Verrücktheit, antwortete sie zögernd. Mehr fiel ihr nicht ein.
Heute morgen klingelte das Telefon, riß mich aus dem Schlaf. Es sei aus, teilte mir C mit. Ich schüttelte die Müdigkeit von mir ab. Was?, fragte ich, noch immer benommen.

Sie war gestern Abend zu der Party gefahren, wollte kurz mit ihrem Freund reden, der schon den ganzen Nachmittag fort verbracht, den sie den gesamten Tag nicht gesehen hatte. Du fühlst dich vernachlässigt?, fragte er, lauernd. C nickte nur. Ihr Freund sprang auf, rannte aus dem Zimmer, schmiß die Tür hinter sich zu.

Das wars, meinte C zu mir am Telefon. Er selbst habe es beendet, habe einen Schlußstrich die bröckelnde Beziehung gezogen. Sie fühle sich besser jetzt, behauptete sie und legte auf.

Noch immer im Bett liegend dachte ich nach, fühlte mich schuldig. Hatte ich nicht wegweisende Worte gegeben, die ein Ende erwirken mußten? Hatte ich ihr nicht sogar einzureden versucht, daß sie sich so nicht behandeln zu lassen brauchte?

Aber er hatte ja Schluß gemacht, versuchte ich mich zu besänftigen. Die Beziehung war sowieso kaputt. Vielleicht war es ganz gut so. Vielleicht war es wirklich das Beste, redete ich mir zu.

Doch innerlich zweifelte ich.

Schmarotzer

Ich besitze keinen Fernseher.

Das ist weder sonderlich lobenswert noch übermäßig ungewöhnlich. Sicherlich, in Deutschland stößt man zuweilen auf ungläubige Blicke, berichtet man stolz von seinem Nicht-Besitz. Relativiert man jedoch seine Ansicht auf die Weltbevölkerung, wird schnell klar, daß das Kein-Fernseher-Außenseiter-Image, das man womöglich für „alternativ“ oder gar kreativ hält, verblaßt, sobald man zur großen Masse gehört.

Erstaunlich an meinem Nichtbesitz ist jedoch die – für meine Verhältnisse – beachtliche DVD-Sammlung, die ich – zugegebenermaßen mit Ausnahmen – gern zu zeigen oder auszuleihen bereit bin. Leider fällt es mir ohne TV-Gerät unglaublich schwer, die von mir erworbenen Filme anzusehen, verfügt doch mein Rechner über keinerlei DVD-kompatibles Abspielgerät.

Dabei besitze ich einen DVD-Player, ein einstmals preiswertes Stand-Alone-Gerät, das sein degradiertes Dasein als CD-Player fristen muß. Ich glaube, ihm mißfällt diese abwertende Behandlung, neigt es doch zuweilen dazu, meine geliebten CDs nur widerwillig abzuspielen, böswillig zu knurren oder gar noch gefährlichere Geräusche von sich zu geben. Dann schalte ich ihn schnell aus und entschuldige mich.

Möchte ich eine meiner neun DVDs ansehen, habe ich mich bettelnd durch meine WG zu kämpfen, an jede Tür zu klopfen, ob einer meiner vier Mitbewohnerinnen bzw Mitbewohner so freundlich wäre, ihren bzw seinen teuren Fernseher an mich zu verleihen. Mit unwilligen Blicken bestück schleppe ich dann dankbar das schwere Gerät in mein Zimmer, positioniere es auf einem Stuhl neben dem sicherlich freudig erregten DVD-Player und fletze mich in meinen Sessel.

Ich will nicht fernsehen. Könnte gar nicht, wenn ich wollte. In mein Zimmer führt kein Fernsehkabel, muß es auch nicht. Fernsehen lenkt viel zu sehr ab, raubt mir Antrieb und Willen.

So lümmle ich mich zufrieden in meinen Sessel und schaue mir eine meiner DVDs an, vielleicht die neue, „Herr Lehmann“, vielleicht eine der alten, die ich schon unzählige Male sah. Später muß ich den Fernseher wieder zurückbringen, wieder mühsam mit allen nötigen Kabeln und Steckern verbinden, den Ausgangszustand wieder herstellen, um jeglichen Ärger zu vermeiden.
Kommentare bleiben jedoch nicht aus:

„Willste dir nicht endlich mal nen eigenen Fernseher kaufen?“
„Aber ich will ja gar nicht fernsehen.“, meine ich.
„Jaja, ich weiß.“
„Ein Fernseher lohnt sich für mich nicht.“
Mein Mitbewohner versucht zu erklären:
„Aber dann brauchst du nicht jedesmal zu uns rennen, alles abmontieren, das Gerät rüberschleppen, dranbasteln und so.“
„Es lohnt sich nicht.“, wiederhole ich.
„Natürlich lohnt es sich. Für deine DVDs.“
„Das sind doch nur neun. Außerdem kenn ich die ja schon alle.“

Besänftigt schweigt mein Mitbewohner, sieht mir zu, wie ich versuche, das Scart-Kabel falsch zu montieren.
‚Ich sollte mir „Herr Lehmann“ nochmal ansehen.‘, denke ich unterdessen.
‚Morgen Abend vielleicht.‘