Der Orkan

Mit dem Fahrrad hektisch, eilig, angetrieben von der Wut auf die eigene Unfähigkeit, auf die Unfähigkeit aller, durch die Stadt rasend, düsend, rücksichtslos, riskant, mir alles abverlangend, kraftvoll in die Pedalen tretend, nicht sitzend, immer stehend, tretend, trampelnd, schneller, schneller. Menschen zischen vorbei, ihre Gesichter unförmige Schemen. Kein Ausdruck, keine Mienen. Knappe Gesten, ungesehen, unbemerkt. Ich höre empörte Worte, irgendwo hinter mir, weit hinter mir. Schneller, schneller, keinen Atem findend, keuchend, Ampeln ignorierend, durch Menschenmassen schlängelnd, im letzten Moment ausweichend, vorbeizischend, haltlos, entfesselt, jagend, ein Sturm auf Metall.
Irgendwo am Straßenrand stehen Polizisten, sehen mich zu spät, rufen mich zu spät, ich bin vorbei, längst vorbei, enteilt, dem Gesetz entflohen, meinem Stillstand entflohen, meiner Ruhe. Haltet mich nicht, fangt mich nicht, ich bin der Orkan…

Menschen 9

Aus der Drogerie tritt ein Mann, achtet nicht auf den Weg, nicht auf die Umgebung. Seine ganze Konzentration gilt dem Päckchen, das er in der Hand trägt, das er nun sorgsam öffnet: Entwickelte Fotos. Vorsichtig holt er die Bilder aus ihrer Verpackung, betrachtet sie, nimmt sich Zeit für jedes einzelne, beschaut die Motive, beschaut scheinbar jedes Detail. Dann fängt er an zu schmunzeln, zu grinsen. Zu lachen.
Ich gehe vorbei, er sieht auf und lacht mir ins Gesicht, ausgelassen, fröhlich.
Ich lache auch, innerlich, wünsche mir einen Photoapparat, um diesen Augenblick festzuhalten und immer wieder neu in stilles Gelächter ausbrechen zu können.

Abgehetzt und grimmig betrete ich die Apotheke. Es ist kurz vor acht am Samstag Abend, kurz vor Ladenschluß. Bevor ich den Atem für Worte finde, lächelt mich die Apothekerin freundlich an:
„Wollen Sie ein Glas Wasser?“
Ich schaue erstaunt, vergesse meinen Unmut, schüttle zögernd mit dem Kopf:
„Bin … nur … recht schnell … gefahren … Danke …“, keuche ich.
„Sie hätten sich doch Zeit lassen können. Wir haben doch noch zehn Minuten auf.“
Ihr Lächeln steckt an.
„Ich wußte ja nicht … wollte noch … brauchte noch was Eßbares … für morgen.“
Sie läßt nicht locker.
„Ich kann Ihnen ein paar Bonbons anbieten.“
Dankend lehne ich ab, grinse von einem Ohr zu anderen.
‚Warum‘, frage ich mich, als ich die Apotheke wieder verlasse, ’sind Menschen viel freundlicher, wenn ich schlechte Laune habe…?‘

Das Wort des Tages 11

Das Wort des heutigen Tages [egal, ob damit der vergangene oder der kommende gemeint ist] sei:
Honigkuchenpferd.
Ich denke, es gibt kaum ein niedlicheres Wort, so süß und knuffig. Gern grinse ich wie ein solches oder betitle es mit dem unpassenden, aber amüsanten Attribut „kariert“…