Wenn Herr Fischer – und ich meine weder unseren joggenden Allzeit-Sympath und Noch-Außenminister, noch den bayrischen Ulkklops, dem es weder als überragend schlechter Schauspieler noch als Plattwitzkabarettist gelingt, auch nur einen Gesichtsmuskel zu bewegen – in seiner Eigenschaft als publikumsgeschätzer Dirigent die nach ihm benannten Chöre zum Erklingenlassen mehr oder minder bekanntem Volksgesangsgutes bewegt, dann toben die Zuhörer, äußern euphorisch ihre nicht enden wollende Begeisterung, jubeln sich hinauf in musikalische Maximalextase, versinken schwärmend in den an das Ohr dringenden Klängen und fiebern mit, nehmen Teil, verschmelzen mit den Tönen: Sie klatschen.
Auf Plätzen, die einem Kompromiß aus Bequemlichkeit und minimalem Reinigungsaufwand genügen mußten, sitzen unzählige, meist ergraute Damen und Herren in erd- oder beigefarbenen Gewändern, zu monumentaler Bewegungslosigkeit erstarrt – wären da nicht die Handflächen, die – scheinbar unabhängig vom versteinberten Körperrest – immer wieder zueinander finden und das typische Haut-auf-Haut-Geräusch, das zuweilen des Künstlers Brot darstellen soll, produzieren.
Ich bin mir nicht schlüssig darüber, ob diese Musik keine extatischere Begeisterung als die des roboterhaften Auf-Eins-Und-Drei-Klatschens zuläßt oder ob das erwähnte Publikum einfach nicht imstande ist, Freude und Gefallen auf andere, offensichtlichere Art und Weise auszudrücken, doch stellte ich längst fest, daß das deutsche Klatsch-Phänomen ein eigenartiges, überall auftretendes ist.
Deutsche klatschen gerne. Volksmusikalische Veranstaltungen sind für die Ausübung dieser Bewegungspräferenzen durchaus geeignet, weil dort das Klatschen im allgemeinen nicht nur gern gesehen, sondern nahezu gefordert ist – und bei Bedarf auch über entsprechende Quellen gesondert eingespielt wird. Puppenartige Wesen sitzen unbeweglich im Publikum und lauschen scheinbar – und für mich unbegreiflich – dem Vollplayback eines mehr oder minder namhaften Klangkünstlers.
Doch der Beat der Musikstücke treibt, bewegt, geht ins Blut. Kaum erklingen die ersten Takte, sieht man die ersten Hände die rhythmisch aufeinanderprallen, immer wieder. Das Vorbild prägt, die übrigen Zuhörer folgen ihm – oder versuchen es zumindest, denn trotz elektronischer Baßverstärkung fällt es einigen immer wieder schwer, den Takt zu treffen. Bald klatscht das gesamte Publikum – und äußert somit seine mögliche Maximalbegeisterung.
Ignoriere ich das Gedüdel des seiernden Schlagerbarden und lausche nur dem monoton-öden Klatschgeräusch, so fühle ich mich an Schwarzweißfilmaufnahmen erinnert, in denen die Tonspur das rhytmische Marschieren unzähliger Soldatenreihen wiedergibt. Klatschen als bequemes Sitz-Äquivalent für im Gleichschritt marschierende Soldatenstiefel. Liegt uns das Marschieren im Blut?
Die Parallelen sind kaum zu übersehen, besser: zu überhören, doch die offensichtliche Bereitschaft, sofort und ohne Zögern in Klatschorgien auszuarten, erschreckt mich. Klatschkonformität? Akustische Einheit der Massen? Ergreifende Euphorie eingesperrt in militaristische Standardgeräuschproduktion?
Eines der offensichtlichsten und auch erschreckensten Beispiele deutscher Klatschmentalität erlebte ich unlängst beim Betrachten der RTL-Quizsendung „Wer wird Millionär?“, in der der moderierende Herr Jauch plötzlich begann, den Versuch zu wagen, ein allseits bekanntes Lied zu intonieren. Es blieb beim Versuch, erachtete ich doch seinen Gesang keineswegs als erwähnenswert gut. Trotzdem sprang der Funke über, entzündete das Publikum, das schon nach den ersten Silben im Gleichschritt zu klatschen begann. Eins-Und-Drei-Und-Eins-Und-Drei-Und-Links-Zwo-Drei-Vier.
Ich war entsetzt, nicht nur von Jauchschen Gesang, sondern auch vom sittlich auf den Sitzplätzen verharrenden, dennoch taktsüchtigen Publikum, das sich in Sekundenbruchteilen zu einem einheitlichen Klatschgeräusch formiert hatte, das schon nach wenigen Augenblicken wahrlich unvollkommender Melodie die individuelle Begeisterung in konforme Klatschfreude umgewandelt und selbst den letzten Unwilligen mit dem gleichgeschalteten Massenrausch angesteckt hatte.
Applaus als Brot des Künstlers – meinetwegen. Doch die Spontanmutationen von lauschenden Menschenmassen zu geistlosen, ferngesteuerten Klatschrobotern halte ich weder als Publikumsteil noch als Darbietender für erstrebens- oder vernehmenswert, bietet doch die Komplexität der Funktionsweisen des menschlichen Körpers unzählige andere Wege, um seiner Eigenfreude Ausdruck zu verleihen – und sei es nur ein Klatschen auf Zwei-und-Vier.