„Make-up“ – Eine Kurzgeschichte

Ein trostloses Halbdunkel präsentierte sich meinen müden Blicken. Der Wind wehte mir kalten Nieselregen ins Gesicht. Ich lief weiter, langsam, in Gedanken versunken.
„Lust?“, fragte eine weiche Stimme von rechts. Ihr kurzes, blondgefärbtes Haar leuchtete verlockend im trüben Laternenschein. Meine Blicke glitten zurückhaltend über ihren zierlichen, jungen Körper, den durchscheinende Gewänder unzureichend verhüllten , versanken in ihren blitzend-grünen Augen.
‚Natürlich habe ich Lust.‘, dachte ich, doch schüttelte träge mit dem Kopf.
Ich ging weiter, keine zehn Schritte, als sie sich mir in den Weg stellte.
„Hartz IV?“, fragte sie. Ich nickte unsicher.
„Für dich: 60 Euro.“
Ich sah auf.
Ihre massigen Brüste quollen beinahe aus dem pinkfarbenen BH. Ich bemerkte die Falten in ihrem Gesicht, nur mangelhaft mit Make-up kaschiert, nickte erneut.
Sie ging voran, mit einstudiert-wogenden Gang, der ihr breites, einladendes Becken betonte. Meine Blicke klebten zwischen ihren Schenkeln, dort, wo der knappe Rock endete.
Nach wenigen Metern öffnete sie eine hellgraue Tür.
Ein riesiges, rundes Bett dominierte das Zimmer. Nachtschrank, Stuhl, Spiegel. Alles in Pink.
Sie setzte sich ans Fußende, schlug die Beine übereinander, zündete sich teilnahmslos eine Zigarette an.
„Zieh dich aus.“
Als ich meinen Gürtel öffnete, bemerkte ich den harten Gegenstand in meiner Hosentasche.
‚Das Foto.‘, erinnerte ich mich, holte die Kamera hervor. Verstohlen betrachtete ich sie durch das Objektiv.
„Jedes Foto – 50 Euro.“, teilte sie mir desinteressiert mit.
Zigarettenqualm stieg von ihrer Hand zur Decke. Sie lächelte nicht.
Ich drückte ab. Einmal. Das mußte reichen.
Ich fischte den zerknitterten Geldschein aus der Hose.
„50 Euro. Mehr habe ich nicht.“
Sie steckte ihn ein, ohne aufzusehen. Ihre Finger zitterten.
‚Ich muß hier raus.‘
Zwei Schritte zur Tür. Ein Blick zurück.
Auf der Bettkante saß ein Wrack.
Im Licht der grellen Straßenlampen betrachtete ich das Foto.
‚Sie ist alt geworden.‘, stellte ich ohne Bedauern fest.
Ihren Englischunterricht hatte ich nie gemocht.

Allerdings nicht in Seattle…

Es wird bereits hell. Nachts um drei erwache ich, durstig, mit Wörtern überflutet. Eine Geschichte läßt mich nicht los, will geschrieben werden.

Ich stehe auf, schalte den Rechner an, gehe zum Kühlschrank. Das blaue Licht des Bildschirm erhellt den gesamten Flur. Das kalte Mineralwasser erfrischt, belebt meine Sinne. Ich bin bereit.

Eine Stunde lang schreibe, tippe, ich. Dreihundert Wörter, die nur aneinandergereiht zu werden brauchen. Die Bilder sind fest in meinem Kopf verankert. Nur das Ende wackelt noch. Doch ich weiß, was ich will.

Kaum liege ich wieder im Bett, fällt mir der richtige Ttel für die Geschichte ein.

Erneut stehe ich auf, erganze die fehlende Überschrift, trinke noch einen Schluck Wasser und hoffe, daß ich nun endlich Schlaf finden werde.

[4:21 Uhr]