Die Selbsterkenntnis verletzt mich.
Nicht nur, daß ich mich irgendwie einsam fühle – nein, ich verleugne es mir gegenüber auch noch.
Meine Mitbewohnerin beispielsweise eröffnete unlängst mit ihren Freundinnen eine außergewöhnliche Bar. Ich besuchte diese bereits zwei Mal und hätte heute, jetzt, Gelegenheit, sie ein drittes und letztes Mal aufzusuchen. Schließlich wird sie ab morgen Geschichte sein, war die Bar doch nur für einen Monat geplant.
Doch anstatt mich aufzuraffen, dort hinzugehen, überlege ich, ob es nicht besser wäre, ins Bett zu fliehen und am nächsten Morgen zeitig, in aller Frühe, aufzustehen und [endlich] anzufangen, intensiv zu lernen. Doch schon jetzt weiß ich, daß ich nicht zeitig aufstehen und daß ich vermutlich die erste Stunde nach dem Erwachen sinnbefreit rumgammeln werde, ohne auch nur einen Gedanken an Nützliches [Das schließt Frühstück mit ein.] zu verschwenden.
Was mich in Wirklichkeit zu halten scheint, ist der unschöne Umstand, daß ich in diese Bar alleine zu gehen/fahren habe, daß mir niemand einfällt, der um diese Uhrzeit, in dieser Stadt, bereit wäre, mich zu begleiten und mir den restlichen Abend zu versüßen. Tatsächlich befinden sich die wenigen Personen, die als angenehme Begleitung in Fragen kämen, in unüberbrückbar großem Abstand zu mir
Sicherlich wäre es ein Leichtes, dort einfach aufzukreuzen, sich mit meiner Mitbewohnerin, ihren Freundinnen und Freunden [mir zumeist nicht unbekannt] zu unterhalten, mich beim Tischtennisspiel zu amüsieren und flaschenweise Premium Cola in mich hineinzuschütten.
Doch ich will nicht, will nicht wieder abhängig von den erwähnten Personen sein, wäre lieber selber mit jemandem da, mit irgendwem, der auch noch an der eigenen Seite verweilt, wenn sämtliche Smalltalkthemen verschütt gegangen sind.
Träfe ich dort ein, gestände ich mir selbst ein, schon wieder ohne Begleitung anzukommen, schon wieder nur einer dieser Niemande zu sein, die an belebten Orten nach Gesellschaft suchen, die darauf hoffen, von irgendwem – vielleicht sogar einem hübschen Mädel – angesprochen, ja geschätzt zu werden. Ich gestünde mir ein, in Redepausen, zwischen leeren Themen und tiefgreifendem Philosophieren, in nüchterner Erkenntnis zu versinken, daß ich schon wieder schweige, schon wieder auf einem Stuhl sitze, dessen Nachbarplätze frei blieben. Ich gestünde mir ein, unfreiwillig allein zu sein.
Bleibe ich aber, beschäftige ich mich weiterhin mit Pseudowichtigem, gehe ich alsbald ins Bett, so kann ich mir einreden, absichtlich allein, ohne Gesellschaft, geblieben zu sein, absichtlich die Stille gesucht zu haben, um ungestört zu sein, um die Musik im Hintergrund nicht durch albernes Gerede gestört zu wissen.
Ich kann morgen früh aufstehen und mein schlechtes Gewissen, die letzten Tage müßig verbracht zu haben, mit der Gewißheit trösten, mich selbst am vergangenen Abend mit Ausgehverbot gestraft und zu intensiverer Lernleistung animiert zu haben.
Oder ich erwache und begreife, daß ich mal wieder eine Chance vertat, andere Menschen kennenzulernen, mich unter fremde Leute zu mischen, die Gedanken einfach mal gehen zu lassen, mich anderem zu widmen – daß ich mal wieder eine Gelegenheit verpaßte zu leben.