Die Hallenser autmobilverkehrsbefreite Einkaufsstraße nennt sich offiziell „Leipziger Straße“, obgleich sie jeder „Boulevard“ nennt. Vor kurzem lief ich eben genannten Boulevard entlang, vom Bahnhof kommend in Richtung des Marktplatzes, als ich einem kleinen Stand auszuweichen hatte.
Um ihn herum hatten sich ein paar prollige Gestalten gruppiert, von denen, sobald ich in Hörweite war, einer das Gespräch mit seinen Freunden unterbrach, um sich mir zuzuwenden, mir eine blaue A6-Karte vor das Gesicht zu halten und mich sofort anzuquatschen:
„Entschuldigung… Du kannst hier was gewinnen.“
Vermutlich hätte ich irgendwie reagieren sollen, doch fühlte ich mich dafür zu träge, zu sehr in mich selbst versunken, zu sehr mit dem Augenblick zufrieden. Ich verringerte mein Tempo nicht, ging einfach weiter, ohne ihn, den bedeutungslosen Störenfried, zu beachten. Ich wußte, daß ich nicht unfreundlich schaute, doch lächelte auch nicht.
Als ich, unberührt von seinen Versuchen, meine Aufmerksamkeit zu erheischen, weiterging, begann die prollige Meute gemeinsam, ausfallend zu werden, als hätte ich sie mit meiner reglosen Miene, mit meinem unbeeindruckten Verhalten, irgendwie demütigen wollen.
Zuerst erklang ein „Hoho… – um meine vermeintliche Abgehobenheit ironisch zu kommentieren, dann folgten mehrere Kommentare zu meinem Äußeren, zu meiner Kleidung und ein paar zusätzliche zu meinen Haaren. Natürlich allesamt beleidigend.
Ich war erstaunt. Kaum äußerte ich kein Interesse an ihrem Produkt, mutierte ich gleich zum Feind, für Beschimpfungen geeignet.
Selbstverständlich war ich mir dessen bewußt, daß es sich bei ihnen auch nur um Studenten handelte, die irgendeinen albernen Job ausführten, um ein wenig Geld verdienen zu können, doch erachtete ich es für überflüssig, mich auf einen ausführlichen Disput mit ihnen über die Sinnlosigkeit ihres Unterfangens, mir ihr Produkt aufzuschwatzen, einzulassen, hatte ich doch mit einem einzigen Blick vier Gründe erspäht, die meine Ignoranz berechtigten und mich aus der Gruppe potentieller Kunden ausschlossen:
1. Auf der gezeigten, blauen Karte hatte ich sofort das TV-Movie-Logo entdeckt. Doch verfüge ich wie bereits erwähnt weder über einen Fernseher, noch über das für eine – überflüssige – regelmäßig erscheinende Fernsehzeitschrift nötige, finanzielle Potential.
2. Sollte mich ich jemals dazu durchringen, dergleichen erwerben zu wollen, wird es bestimmt nicht der Student auf der Straße sein, den ich diesbezüglich zu kontaktieren wünsche.
3. Meine Stimmung war zu gut, um mich mit profanen Dingen wie Fernsehzeitschriften oder Gewinnspielen abgeben zu wollen.
4. Gewinnspiele scheinen das ultimative Köderargument unserer Gesellschaft zu werden. Bloß weil irgendwo zu lesen ist, daß es etwas zu gewinnen gibt, sind Menschen bereit, sich zum Kasper machen oder sich alberne Überflüssigkeiten aufschwatzen zu lassen. Schon längst entwickelte ich eine Abneigung gegen derartige Gewinnspiele und erst recht gegen Menschen, die glauben, mich auf derart primitive Weise für ihre Sache gewinnen zu können.
Und so ging ich weiter, hörte hinter mir die Stimmen der lästernden Prolls und versuchte, meine wenig freundlichen Gedanken nicht in mein allgemeines Wohlsein einfließen zu lassen.