Ekel

Gestern Abend belästigte ich meine Mitbewohnerin ein wenig und sah mit ihr fern. Es kam nichts Besonderes, irgendeine Sendung über verhunzte Schönheitsoperationen. Doch in mein Zimmer zurückzukehren hätte bedeutet, mich der Pflicht widmen zu müssen. Und das wollte ich wirklich nicht.
1999/2000 war ich Zivildienstleistender in einem Krankenhaus. Stationen Dermatologie I-III, beziehungsweise: Haut I-III. Eine recht angenehme Arbeit, wenngleich ich bis heute nicht begreifen kann, wie ich es schaffte, morgens um fünf aufzustehen. Ich glaube, ich haßte es.

Aber ich war der Liebling der Patienten, wurde von älteren Damen mit Vorliebe mit „mein Schatz“ oder „mein Engel“ betitelt, mußte schuften, hatte aber auch Tage, an denen ich nur sinnlos rumhing und mit irgendwelchen Patienten quatschte, bis die Zeit rum war.

In dieser Zeit habe ich allerhand Erschreckendes gesehen und kennengelernt. Ich durfte alte Männer duschen [selten], alte Frauen duschen [ein Mal], sah offene, nässende Wunden [haufenweise]. Ich durfte einer OP beiwohnen, in der einer Frau vom Oberschenkel mit einem rasierapparatähnlichen Gerät Haut vom Oberschenkel entfernt wurde. Dieser Hautlappen wurde dann auf die doppelte Größe gedehnt, um ihn anschließend auf eine vorher operierte Stelle zu nähen. Ich sah [und roch], was passiert, wenn der Plastikbeutel eines künstlichen Darmausganges wegen Überfüllung platzt und sein Inhalt sich im gesamten Zimmer verteilt. Ich sah riesige Nähte, schimmlige Füße. Ich durfte braune Kleckerspuren auf dem Stationsgang aufwischen, durfte schwitzende Menschen berühren, schuppige Haut eincremen.

In wenigen Fällen war der Anblick angenehm, zuweilen fühlte ich mich unwohl, doch alles war erträglich, akzeptabel. Ich konnte damit leben, arbeitete eigentlich sogar gern im Krankenhaus.

Gestern Abend jedoch sah ich diese Sendung im Fersehen, sah, wie Brüste aufgeschnippelt wurden, um irgendeinen Kram unter die Haut zu schieben, sah, wie Menschen während ihrer Narkose behandelt wurden als wären sie totes Vieh. Ich sah, wie einer Frau irgendeine fettlösende Flüssigkeit in die Beine gespritzt wurden, die diese dann aufquellen ließ, sah, wie mit einem Sauger unter der Haut hantiert wurde, wie sich die bewegenden Konturen des Saugers außen abzeichneten, fragte mich, was wohl mit dem abgesaugten Fett geschehen würde [Mettwurst?] – und ekelte mich, wollte nicht länger hinsehen.
13 Monate Zivildienst hatten mich abgehärtet, glaubte ich.

„Schalt bitte um.“, bat ich meine Mitbewohnerin.