Mensa-Zeit

Ich sitze allein an einem Tisch für acht Personen. Eine junge Frau gesellt sich hinzu. Ich bin in meine Nahrungsaufnahme vertieft, hebe kaum den Kopf. Zu der jungen Frau gehören aber scheinbar noch mehr, lauter Universitätsmitarbeiter. Ich schränkte meinen Platzverbrauch ein. Der Tisch wird voll besetzt. Obwohl ich allein sein wollte, ist mir die plötzliche Anwesenheit der anderen nicht unangenehm.

Mit gegenüber sitzt eine Asiatin, eine Chinesin, wie sich herausstellt. Sie redet Englisch mit ihren Kollegen. Dann schaut sie mich an, betrachtet mein Shirt. In Ermangelung sauberer schwarzer Shirts hatte ich mich für ein olivgrünes entschieden, mit einem Drachen und diversen Schriftzeichen bedruckt. Sie zeigt auf die Schrift, als wüßte sie etwas.

„Was bedeutet das?“, frage ich, neugierig geworden.
Sie hat mich verstanden, will antworten, doch ihr Deutsch reicht nicht aus.
„Ich verstehe auch Englisch.“
Ich komme mir dumm vor, den Satz auf Deutsch gesagt zu haben. Sie scheint es nicht zu stören, gibt in fließendem Englisch eine Erklärung.
Das von ihr aus am weitesten rechts befindliche Zeichen heiße „Sonne“, doch in Verbindung mit den anderen beiden ergäbe es das Wort „Zeit“. Es handle sich wohl um ziemlich alte chinesische Schriftzeichen, ergänzt sie.
Ich bin fasziniert.

„Ist das jetzt fashion?“, fragt sie, meint die vielen Mädels (und Jungs), die sich chinesische Schriftzeichen eintättowieren lassen. Ich zucke mit den Schultern. Ich habe das Shirt bestimmt nicht angezogen, um einer Mode nachzugehen. Ich wollte nur nicht frieren.
Als ich mit dem Essen fertig bin, packe ich meine Sachen zusammen und gehe.
„Tschüß.“, sage ich.
„Tschüß.“

Sie lächelt.