Deutsch ist…

… als Fußgänger an einer roten Ampel zu warten, obgleich weit und breit weder ein Auto noch ein Kind [dem man ein schlechtes Vorbild sein könnte] zu sehen ist.
Das zumindest behauptet das übliche Klischee.

Gestern jedoch erlebte ich etwas, das in die gleiche staubige Schublade paßt und mir gewisse Verwunderung verschaffte:

Ich saß mit zwei Freundinnen im Kino. 15-Uhr-Vorstellungen haben die Angewohnheit, nicht unbedingt mit unüberschaubaren Scharen filmfreudigem Publikums vollgestopft zu sein. Kurz: Der Saal war verhältnismäßig leer, außer uns befanden sich in ihm vielleicht zehn, fünfzehn Leute, die meisten davon Kinder. Es hätten aber noch bestimmt zwehundert reingepaßt. Oder mehr.
Wir waren zu früh, lümmelten uns in den rotplüschigen Kinosesseln herum, futterten Popcorn und unterhielten uns unpassenderweise über riesengroße Männerpuller. Nebenbei beobachteten wir die Umgebung.

Die meisten Hereinkommenden agierten ähnlich wie wir, bemerkten den Kinosaal und dessen Leere und plazierten sich irgendwo, von wo sie glaubten, gut sehen zu können – ohne die riesengroßen Goldletter „LOGE“ auf den Lehnen überhaupt eines Blickes zu würdigen.

Dann jedoch trat eine Omi ein, ihr Enkelkind wie ein an der Leine geführtes Spielzeug hinter sich her ziehend, ja fast schleifend. Sie ging nach oben, und wieder hinab, holte ihre Eintrittskarte heraus, warf einen unsicheren Blick darauf [Brille vergessen?], wählte eine Reihe im Logenbereich aus, suchte die Sitzplatznumerierungen ab, entfernte sich wieder aus der Reihe, nahm die nächste.

So ging das eine Weile. Der kleine Junge ließ sich das Herumgezerre wortlos gefallen. Die Omi jedoch wollte sich partout nicht setzen, gab sich nicht zufrieden, schaute immer wieder auf die Sitzplatzbezeichnung ihrer Eintrittskarten, suchte, doch fand nicht.

„Setzen Sie sich doch einfach irgendwohin.“, sagte A freundlich.
Sie schaute auf, antworte nicht, suchte weiter, betrat irgendeine Reihe hinter uns.

Das Lichtg ging aus, und während die lästigen und kinderuntauglichen Werbespots auf der Leinwand herumflimmerten, fragte ich mich, ob die Omi und ihr Engkelkind denn mittlerweile säßen und wie normal es ist, in einem leeren Kinosaal eintrittskartenorientiert nach dem „richtigen“ Sitzplatz zu suchen.

Ist das typisch deutsch?, wunderte ich mich.