Ich denke nach. Oft und gerne. Es fällt mir leicht nachzudenken, Gedanken hinterherzusinnen, die wie von selbst in meinem Kopf erscheinen, sich ausbreiten, dünne Netze weben, deren Fäden ich folge. Manchmal verliere ich mich, verliere den Faden, rutsche ab, treibe in andere Gefilde. Manchmal bleibe ich aber, finde den Weg zur Mitte, zu einem Ergebnis, zu einer vermeintlichen Lösung, einer möglichen Erkenntnis.
Wenn ich nachdenke, dann meistens über mich. Selbst wenn ich nicht über mich nachdenke, bin es doch ich, ist es doch meine Welt, die mich zum Denken anregt. Alles gehört dazu, jede Kleinigkeit, jedes Detail. Alles ist irgendwie ich, Teil von mir. Ich betrachte mich, wie ich in der Gegenwart umherirre, betrachte meine Vergangenenheit, erinnere mich und folge den Erinnerungen in ihre, in meine, Zukunft. Ich schlußfolgere, sehe mich wie von einem entfernten Standpunkt aus, wundere mich über meine Taten, meine Gedanken, über die Welt, die mich umgibt und analysiere. Wo begann es? Wo führt es hin?
Ich sehe mich vor Problemen stehen und erkenne Ursachen, sehe die Wurzeln meiner Ängste, glaube mich zuweilen zu verstehen, glaube zu wissen, was ist, wie ich agieren werde, wie ich handeln sollte, um nicht alten Fehlern zu begegnen, um nicht endlos in der Starre zu verharren.
Ich fülle Seiten mit Worten, die Sinn ergeben, mit Schlußfolgerungen, die logisch erscheinen, mit Fragen, die ich zu beantworten vermag. Doch ich glaube mir nicht.
Immer beschleicht mich das Gefühl, ich würde mich selbst belügen, ich würde nur winzige Teile der Wahrheit erkennen, winzige Teile von mir begreifen. Ich sehe meine Antworten und weiß, daß das nicht alles ist, daß mehr dahinter steckt, sich vor mir verbirgt, unentdeckbar zu sein scheint. Ich sehe meine Antworten udn weiß, daß es längst nicht alle waren, daß immer wieder neue Fragen auftauchen, deren Antworten mir verborgen bleiben oder wiederum neue Fragen keimen lassen.
Ich denke darüber nach, was ich bin, wer ich bin, was ich will, wohin meine Wege führen könnten, wer welche Rolle in meinem Dasein spielt. Ich denke darüber nach, was sein könnte, was gewesen sein könnte, ob andere Vergangenheiten eine bessere Zukunft gebären würden, ob andere Schritte „richtiger“ gewesen wären. Ich denke darüber nach, was ich fühle, warum ich es fühle, ob es sinnvoll ist zu fühlen, was es nützt, ich zu sein.
Und ich denke darüber nach, daß keine Antwort ausreichend wahr ist, daß ich mit jedem Wort, mit jedem Gedanken nur einen Teil zu erfassen glaube. Es ist, als beleuchtete ein Licht nur kleinste Ausschnitte eines riesigen Ganzen, und ich versuchte, mir aus den Teilen des Mosaiks ein Bild zu formen, ein Bild, das Sinn ergibt, ein Bild, das – womöglich – mich selbst zeigt. Es bedarf nur einer anderen Stimmung, nur einer anderen Denkrichtung, nur einer anderen Eingebung, um mich eine andere Wahrheit entdecken zu lassen, um mir ein neues Teil des überdimensionalen Mosaikbildes aufzuzeigen, dessen Gesamtheit womöglich die Antwort auf all meine Fragen beinhalten könnte.
Doch ich sehe es nicht, finde das Bild nicht, kann es niemals vollständig erfassen, aufnehmen, begreifen. Nur Funken, Splitter, verbleiben in meinem Geist und formen Gedanken, die richtig klingen, doch zu wenig sind.
Vielleicht ist es tatsächlich eine Art Suche nach Selbsterkenntnis, die mich unbewußt erfüllt; vielleicht will ich tatsächlich finden, wissen, erkennen. Vielleicht jedoch will ich gar nicht, vielleicht gibt es kein bewußtes Wollen, nur den Strudel der Gedanken in meinem Kopf, der mich zwingt, immer wieder in alle Richtungen zu sehen, zu denken, und Lichtblicke zu erfahren, die sich mir als „wahr“, als „richtig“, offenbaren – doch sich im nächsten Augenblick als unzureichend herausstellen.
Ich weiß nicht, wer ich bin, weiß nicht, warum ich so oder so agiere, reagiere, kann keine Antwort finden auf die Frage nach meinen Gründen, nach meinen Trieben, nach meinen Antrieben, glaube längst nicht, mich entdeckt zu haben.
Ich sehe Ängste, die mich lähmen, doch kann ihnen nicht begegnen, obwohl ich mir ihrer Lächerlichkeit bewußt bin. Ich sehe meine Liebe, die mich bewegt, mich lachen und weinen läßt, doch vermag ich nicht, sie zu kontrollieren, in andere Richtungen zu lenken, sie zu durchschauen. Ich sehe mich, wie ich versuche, mich selbst zu begreifen und weiß, daß ich schon zuvor Tausende Male bei dem gleichen Versuch versagte – ohne daß mir das Versagen oder das Wissen darüber Nutzen geschenkt, einen Weg aufgezeigt hatte, dessen ich habhaft werden konnte.
Ich sehe mich fliehen, wieder und wieder, in andere Welten, weil die Wirklichkeit mir nicht wirklich genug ist, weil sie vollgestopft ist mit meinen eigenen Gedanken, meinen Ansichten, meinen Hintergründen, mit meinen Anschauungen, mit meinem Wissen, mit meinen Worten. Überall begegne ich mir, höre meine Stimme denkend das Begreifen ersuchen. Ich versuche zu verstehen und danach zu handeln – doch verstehe ich zu wenig.
Und dann wünsche ich mir, ich würde verstummen, jemand drehte den Klang meiner Gedanken ab, ließ ihn lautlos verschallen, als gäbe es ihn nicht. Ich wünschte, fremde Stimmen würden meinen Schädel befüllen und mir aufzeigen, daß ich mich irrte, daß alles anderes, vielleicht leichter, wäre, daß es nicht meiner unzähligen Gedanken bedürfe, daß man nur die Augen zu verschließen bräuchte, um des Gesamtbildes habhaft zu werden.
Oder ich wünschte mir, ich könnte mich fortstehlen, würde von einem Wirbelsturm hinfortgetragen werden, ließe mich selbst zurück. Ich weiß nicht, was ich wäre ohne all diese Gedanken, ohne diese Gefühle, ohne das Sehnen nach mehr, ohne das Begreifen der eigenen Unkenntnis, ohne mich. Ich weiß nicht, was ich wäre, ohne meine Liebe, ohne meine Ängste, ohne meine Hoffnungen, ohne die zahlreichen Versuche, alles zu durchschauen, alles in mir aufnehmen zu können. Ich weiß es nicht.
Und dann begreife ich, daß es gut ist, was, wer, ich bin, daß ich mich eigentlich dabei wohl fühle, meine Existenz leben zu können, daß ich mich wohl bei einer Auswahlmöglichkeit wieder für mich, für mein Dasein, für mein Denken, entscheiden würde, daß ich mich mag, wie ich bin.
Und dann begreife ich, daß ich selbiges schon längst begriffen hatte und trotzdem immer wieder versuchte, tiefer zu gehen, mehr zu verstehen, an mir verzweifelte, an der Unlösbarkeit der eigenen Wege, der eigenen Gedanken, daß ich trotzdem, trotz des Wunsches nach meinem eigenen Leben, so wie es ist, trotz der befremdlichen Akzeptanz meiner selbst, trotz der erstaunlicherweise existierenden Liebe zu mir selbst, von mir zu fliehen versuchte, mich zuweilen ausschalten, vernichten wollte, als berge diese Tat die einzige Lösung aller Fragen.
Und nun?, frage ich mich dann – und mache weiter wie bisher, Schritt für Schritt in die Ungewißheit des Kommenden, stagnierend, voller Fragen, voller Antworten, die allesamt unzureichend erscheinen. Ich atme, lebe, als wäre es das Normalste der Welt, und bleibe ich, wasimmer ich tue.
Und nun?, frage ich mich dann – und finde wieder keine Antwort.