Und nun … das Wetter.

Meine Mitbewohnerin teilte mir innerhalb der letzten Stunde bestimmt vier Mal mit, daß es warm sei.

„Es ist warm!“, stöhnt sie und wirft sich träge in den Sessel. Dieser Information bedarf es nicht. Die Sonne scheint durch mein Fenster; sehnsüchtig blicke ich nach draußen und wünsche mir, daß meine Arbeit nicht raumgebunden wäre.

Auch mir ist warm, doch ich bin geneigt, diesem Umstand mit gebührender Ignoranz gegenüberzutreten.

‚Die Leute reden, schimpfen, zuviel über das Wetter, egal, wie es ist.‘, denke ich und überlege, ob ich recht habe.

Wenn es regnet, wenn der Himmel von Wolken bedeckt ist und niemand sich traut, auf die Straße zu gehen, wenn Autos durch Schlammpfützen rasen und feuchten, dreckigen auf die Bürgersteige und die wenigen Mutigen verspritzen, wenn das eigene Haar, die eigenne Klamotten naß und kalt am Körper kleben, wenn der schützende Schirm in jedem Geschäft, in jedem Gebäude zuviel, zu sperrig ist – dann meckern die Menschen.

„Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?“, fragt Rudi Carrell aus den Radiolautsprechern und ich verdrehe genervt die Augen.

Doch dann scheint die Sonne. Plötzlich verschwinden überflüssige Stoffetzen im Kleiderschrank, modische Sonnenbrillen und brandneue Tätowierungen gesellen sich zu Eistüten und Strohhüten. Es ist Sommer – und die Menschen meckern wieder.

„Es ist warm!“, stöhnt meine Mitbewohnerin und erkennt schon an meinem Blick, daß ich das längst begriffen habe.

Gestern war es zu schwül, heute ist es zu heiß, morgen wird es zu regnerisch sein. Immer dieses kleine „zu“, immer diese Übertreibungen in der Natur. Dabei verfügen wir in Mitteleuropa angeblich ein gemäßigtes Klima. Doch die Meckerer bemerken es nicht, schmieren sich lustlos Sonnencreme auf die vorgebräunte Haut, werfen einen besorgten Blick dorthin, wo sie das Ozonloch und damit den vermeintlichen Verursacher der ständig katastrophalen Klimabedingen vermuten und warten im Schatten darauf, daß die Sonnenintensität für ein paar Minuten nachläßt.

Als einige Wölkchen aufziehen, ein frischerer Wind zu wehen beginnt, frösteln die verwöhnten Optimalwettersuchenden, schimpfen leise über die aufziehende Kälte, hüllen sich in zusätzliche Kleidungsstücke oder gehen nach Hause, um vor dem heimsichen Fernseher mit gut gekühltem Bier, Großraumventilator, Heizung und Dach über dem Kopf gegen alle Unwetter gefeit zu sein.

Das Wort „Unwetter“ scheint allmählich jedweden Klimazustand zu bezeichen – das Wetter ist längst nicht mehr imstande, es den anspruchsvollen Kritikern recht zu machen, die bei jeder Verbesserung neue Gründe finden, es mit unangenehmen Wörtern und gequengelten Beschwerden zu versehen.

Mir ist das Wetter egal. Sicherlich bin ich versucht, mich den Temperaturen und der Luftfeuchtigkeit entsprechend zu kleiden, doch überrasche ich mich ständig wieder erneut mit der Feststellung, daß die derzeitige Jahreszeit von mir besonders gemocht wird. Als im Winter Schneeflocken auf meiner Nase landeten, lächelte ich darüber ebenso beglückt wie über die ersten Knospen an den Bäumen, über die Frühblüher und den Badetag am See.
‚Das Wetter ist schön.‘, denke ich, ohne nach draußen geblickt zu haben.

Meine Mitbewohnerin schweigt. Sie meckert nicht, sie schwitzt.
„Ich finde es gar nicht so warm.“, teile ich ihr mit.
Entsetzt von meiner Verständnislosigkeit flieht sie aus meinem Zimmer und sucht im Kühlschrank anch den letzten Resten Eiscreme.

Deutsche Klatschmentalität

Wenn Herr Fischer – und ich meine weder unseren joggenden Allzeit-Sympath und Noch-Außenminister, noch den bayrischen Ulkklops, dem es weder als überragend schlechter Schauspieler noch als Plattwitzkabarettist gelingt, auch nur einen Gesichtsmuskel zu bewegen – in seiner Eigenschaft als publikumsgeschätzer Dirigent die nach ihm benannten Chöre zum Erklingenlassen mehr oder minder bekanntem Volksgesangsgutes bewegt, dann toben die Zuhörer, äußern euphorisch ihre nicht enden wollende Begeisterung, jubeln sich hinauf in musikalische Maximalextase, versinken schwärmend in den an das Ohr dringenden Klängen und fiebern mit, nehmen Teil, verschmelzen mit den Tönen: Sie klatschen.

Auf Plätzen, die einem Kompromiß aus Bequemlichkeit und minimalem Reinigungsaufwand genügen mußten, sitzen unzählige, meist ergraute Damen und Herren in erd- oder beigefarbenen Gewändern, zu monumentaler Bewegungslosigkeit erstarrt – wären da nicht die Handflächen, die – scheinbar unabhängig vom versteinberten Körperrest – immer wieder zueinander finden und das typische Haut-auf-Haut-Geräusch, das zuweilen des Künstlers Brot darstellen soll, produzieren.

Ich bin mir nicht schlüssig darüber, ob diese Musik keine extatischere Begeisterung als die des roboterhaften Auf-Eins-Und-Drei-Klatschens zuläßt oder ob das erwähnte Publikum einfach nicht imstande ist, Freude und Gefallen auf andere, offensichtlichere Art und Weise auszudrücken, doch stellte ich längst fest, daß das deutsche Klatsch-Phänomen ein eigenartiges, überall auftretendes ist.

Deutsche klatschen gerne. Volksmusikalische Veranstaltungen sind für die Ausübung dieser Bewegungspräferenzen durchaus geeignet, weil dort das Klatschen im allgemeinen nicht nur gern gesehen, sondern nahezu gefordert ist – und bei Bedarf auch über entsprechende Quellen gesondert eingespielt wird. Puppenartige Wesen sitzen unbeweglich im Publikum und lauschen scheinbar – und für mich unbegreiflich – dem Vollplayback eines mehr oder minder namhaften Klangkünstlers.

Doch der Beat der Musikstücke treibt, bewegt, geht ins Blut. Kaum erklingen die ersten Takte, sieht man die ersten Hände die rhythmisch aufeinanderprallen, immer wieder. Das Vorbild prägt, die übrigen Zuhörer folgen ihm – oder versuchen es zumindest, denn trotz elektronischer Baßverstärkung fällt es einigen immer wieder schwer, den Takt zu treffen. Bald klatscht das gesamte Publikum – und äußert somit seine mögliche Maximalbegeisterung.

Ignoriere ich das Gedüdel des seiernden Schlagerbarden und lausche nur dem monoton-öden Klatschgeräusch, so fühle ich mich an Schwarzweißfilmaufnahmen erinnert, in denen die Tonspur das rhytmische Marschieren unzähliger Soldatenreihen wiedergibt. Klatschen als bequemes Sitz-Äquivalent für im Gleichschritt marschierende Soldatenstiefel. Liegt uns das Marschieren im Blut?

Die Parallelen sind kaum zu übersehen, besser: zu überhören, doch die offensichtliche Bereitschaft, sofort und ohne Zögern in Klatschorgien auszuarten, erschreckt mich. Klatschkonformität? Akustische Einheit der Massen? Ergreifende Euphorie eingesperrt in militaristische Standardgeräuschproduktion?

Eines der offensichtlichsten und auch erschreckensten Beispiele deutscher Klatschmentalität erlebte ich unlängst beim Betrachten der RTL-Quizsendung „Wer wird Millionär?“, in der der moderierende Herr Jauch plötzlich begann, den Versuch zu wagen, ein allseits bekanntes Lied zu intonieren. Es blieb beim Versuch, erachtete ich doch seinen Gesang keineswegs als erwähnenswert gut. Trotzdem sprang der Funke über, entzündete das Publikum, das schon nach den ersten Silben im Gleichschritt zu klatschen begann. Eins-Und-Drei-Und-Eins-Und-Drei-Und-Links-Zwo-Drei-Vier.

Ich war entsetzt, nicht nur von Jauchschen Gesang, sondern auch vom sittlich auf den Sitzplätzen verharrenden, dennoch taktsüchtigen Publikum, das sich in Sekundenbruchteilen zu einem einheitlichen Klatschgeräusch formiert hatte, das schon nach wenigen Augenblicken wahrlich unvollkommender Melodie die individuelle Begeisterung in konforme Klatschfreude umgewandelt und selbst den letzten Unwilligen mit dem gleichgeschalteten Massenrausch angesteckt hatte.

Applaus als Brot des Künstlers – meinetwegen. Doch die Spontanmutationen von lauschenden Menschenmassen zu geistlosen, ferngesteuerten Klatschrobotern halte ich weder als Publikumsteil noch als Darbietender für erstrebens- oder vernehmenswert, bietet doch die Komplexität der Funktionsweisen des menschlichen Körpers unzählige andere Wege, um seiner Eigenfreude Ausdruck zu verleihen – und sei es nur ein Klatschen auf Zwei-und-Vier.

Der morgendliche Wurm im Ohr 28

In der letzten Zeit suchen mich wirre Träume heim. Wenn ich ehrlich bin, kann ich mich kaum an Einzelheiten erinnern, nur eben daran, daß sie wirr waren. Mich verwunderte es allerdings nicht, heute aufzuwachen und Nine Inch Nails „Head Like A Hole“ im Inneren meines Kopfes zu vernehmen…

Head like a hole.
Black as your soul.
I’d rather die than give you control.

[Im Hintergrund: Danzig – „Danzig“]

Das Wort des Tages 21

Die beiden Wörter des heutigen [eigentlich des gestrigen] Tages sind einigermaßen skurril und existieren vermutlich noch nicht einmal – zumindest nicht im Deutschen Duden.

Das erste Wort sei retrooptmial.
Ich liebe es, Fremdwörter zu erfinden, die zwar zuweilen einen Sinn ergeben, zumeist aber absolut sinnbefreit in der Luft herumschwirren.
„retrooptimal“ ist eines aus der zweiten Kategorie und kam mir gestern mal wieder in den Sinn, nachdem ich es früher schon mehrmals benutzt hatte.
„retrooptimal“ erweckt im ersten Moment den Anschein, als würde es etwas bedeuten, doch wenn man versucht, die Bedeutung zu erfassen, stellt man zwangsläufig fest, daß diese mehr oder minder inexistent ist.
Auch schön: Die beiden aneinandergereihten Os.

Das zweite Wort des Tages sei wordjuggler,
eindeutig nicht der deutschen Sprache entnommen und nur mühsam und verlustreich in diese übertragbar [„Wortjonglierer“ klingt dohv.], aber trotzdem fetzig. Mit diesem Wort bezeichnete mich meine Mitbewohnerin, um mich dazu zu animieren, ihr bei der Ausarbeitung eines Konzepts zu helfen, und mir gefiel das Bild, das es in mir erweckte.

[Im Hintergrund: Opeth – „Blackwater Park“]