CrossFadeTalking

In letzter Zeit [welch herrlich ungenaue Zeitangabe] fiel mir bei Gesprächen mit anderen immer wieder eine Unart auf, die ich spontan als „CrossFadeTalking“ betitelte.

Üblicherweise läuft ein Dialog ab, indem die beiden Gesprächspartner einander zuhören und jeweils, nachdem das Gegenüber seinen Gespächsteil beendet hat, aufeinander eingehen. Daß es dabei passieren kann, daß man aneinander vorbeiredet oder gar in derartige Erregung gerät, daß man sich genötigt sieht, den Gesprächsfluß des anderen durch eigene Zwischenrufe zu unterbrechen, halte ich für normal und nicht weiter erwähnenswert. Was mir jedoch mißfällt, ist folgendes Szenario:

Person A [in den meisten Fällen ich selbst] redet. Zugegebenermaßen ist das Erzählte nicht immer von ergreifendem Tiefsinn. [Aber wer kann schon von sich behaupten, nur historisch Bedeutsames von sich zu geben?] Trotzdem setze ich als Redender voraus, daß es mir gestattet sein möge, meinen Gedankengang, und sei er noch so albern, zu Ende führen zu dürfen. Doch bevor das geschieht, setzt Person B ein, beginnt zu reden, ohne Bezug auf die Worte von Person A zu nehmen, die ja noch nicht einmal zu einem logischen Schluß kommen konnten. Person B beginnt zu reden, erst leise, dann lauter, und Person A, also ich, sieht sich mehr oder weniger gezwungen, seinen Gesprächsfluß zu minimieren und schließlich einzustellen.

„Red doch einfach weiter!“, ruft eine Stimme aus dem imaginären Publikum. Doch ich widerspreche: Weiterzureden wäre sinnlos. Zum einen halte ich es durchaus für normal, dem anderen bei seinem Gesagten zuzuhören und selbst zu schweigen, um das Hörbare vollständig erfassen zu können. Zum anderen hätte es wenig Sinn weiterzureden, weil ja Person B, die bis eben noch die Rolle des Zuhörenden belegt hatte, nun selber redet, demnach gar nicht imstande ist, von anderen formulierte Worte vollständig zu erfassen. Ein Gespäch mit einer Wand oder dem Pausenzeichen von Radio Moskau könnte nicht einseitiger sein.

Das Gespräch funktioniert in solchen Augenblicken wie ein Mischpult oder dessen digitales Äquivalent: Track A und B werden ineinander „gefaded“. Während die letzten[?] Töne von Track A erklingen, wird schon Track B gestartet. Die Lautstärke von Track A geht zurück; im Gegenzug steigt die von Track B. Das geschieht solange, bis Track A das Lautstärkeminumum erreicht hat und Track B auf dem früheren Track-A-Lautstärkelevel angelangt ist.

Person A verstummt also, ohne seine Ausführungen beendet haben zu können, während Person B ohne jeglichen Gesprächsbezug losplappert und somit verdeutlicht, daß sie das Zuhören und Erfassen der mitgeteilten Inhalte längst aufgegeben, womöglich gar niemals begonnen hat.

Ich fühle mich durch derartiges CrossFadeTalking unangenehm berührt, stellt es doch in Frage, ob das Öffnen meines Mundes zu Artikulationszwecken überhaupt lohnenswert ist, ob es nicht vorteilhafter wäre, sich in das geräuschreduzierte Schweigen eines stummen Zuhörers zu hüllen, dessen Meinungen und Ansichten derart belanglos sind, daß sie nicht vertont zu werden brauchen.

Bleibt zu hoffen, daß die CrossFadeTalking-Unsitte nicht wuchernd um sich greift und die menschliche Verbalkommukation zu einem steten und stupiden Ineinander- und Aneinandervorbeireden verstümmelt, das nur dazu dient, die Eigenansichten in die Luft zu blasen.