Skandal: Die Deutsche Bahn ist nett zu Ausländern!

„Ihre Fahrkarten bitte.“

Gerade hatte ich meine Schuhe von dem sich gegenüber befindlichen Sitz heruntergnommen und war aufgestanden, um in meiner Jacke nach einem Kugelschreiber zu suchen, als mir die vertraute Aufforderung ans Ohr drang. Die Kontrolle bestand diesmal aus zwei Personen, aus einem jungen Mann, der eifrig alle vorgezeigten Fahrkarten einer gründlichen Kontrolle unterzog, und aus einer nicht wesentlich älteren Frau, die ihm wie ein wohlerzogenenes Schoßhündchen wortlos hinterhertrottete.

Mein Billet hielt der Kontrolle stand, wurde abgestempelt. Er verließ das Abteil; sie trottete gehorsam nach.

Nicht einmal zwanzig Minuten später nahten die beiden Zugbegleiter erneut. Hastig nahm ich meine Schuhe vom Sitz, um potentiellen Ärger zu vermeiden. Der junge Kontrolleur sah mich mißtrauisch an:

„Hatte ich Ihre Fahrkarte schon gesehen?“
„Ja.“, antwortete ich, einigermaßen unschuldig blickend.
„Wo wollen Sie denn hin?“
„Nach Magdeburg.“
„Kann ich die Fahrkarte trotzdem nochmal sehen?“
„Na klar.“

Ich stand auf, kramte sie heraus. Er warf einen flüchtigen Blick auf das bereits abgestempelte Stück Papier, bedankte sich artig und ging, gefolgt von seiner Kollegin.

Die hinter mir Sitzende machte sich bemerkbar:
„Da sind die schon zu zweit und wollen die Fahrkarte trotzdem nochmal sehen.“
Ich zuckte mit den Schultern. Sie ließ jedoch nicht locker:
„Sehr ungewöhnlich.“
„Macht nichts,“ entgegnete ich und lächelte.
Es machte tatsächlich nichts.
Doch sie hatte sich bereits in Rage geredet, wollte nicht länger schweigen:
„Zwei Mal kontrollieren. Das machen sie bei den Ausländern nicht!“

Was sollte das schon wieder heißen?, fragte ich mich und versteckte mich hinter meinem Buch.

Blumenweisheiten

Gerade stellte ich ernüchtert fest, daß mein neuwertiger mp3-Player mir den Dienst versagte, als auch schon drei Jugendliche in die Bahn einstiegen und beschlossen, den verbleibenden Viererplatz [den anderen hatte ich in Beschlag genommen] meines Abteils zu beziehen. Die drei, zwei weibliche und ein männliches Wesen, erweckten keinen angenehmen ersten Eindruck, nicht zuletzt weil sie mit den kalten Rauch ihrer soeben hastig konsumierten Zigaretten meine Atemluft verunzierten. Automatisch ordnete ich sie in die Proll-Fraktion ein. Buffalos, Gürteltaschen, schwarzgefärbtes Haar und unnatürlich gebräunte Gesichtshaut boten genug Indizien.

Ich versuchte zu lesen, doch ihre Stimmen drangen an mein Ohr, verseuchten den akustischen Nahbereich mit unglaublich leerem, inhaltslosem Dahergerede, mit plumpen, humorbefreiten Wortwitzen, mit ausgelutschten Fernsehzitaten und beeindruckend dummem Gelächter.

Den Höhepunkt ihres Konversationsimitats bildete folgende, vom maskulinen Pseudowitzbold ausgestoßene Weisheit:

Frauen wollen Blumen.
Jedoch glauben sie sofort, wenn sie mit Blumen beschenkt werden, daß der Schenkende etwas ausgefressen habe.

Bevor ich den anzweifelnd-kritischen Stimmen in meinem Kopf nachgehen konnte, folgte eine verdeutlichende Anektdote aus dem scheinbar ereignisreichen Leben des beeindruckend beleibten Mädels, ein faszinierender, sich unablässig im Kreis drehender Dialog:

< Ey, … [beliebigen Namen einsetzen] hat mir och neulich Blum‘ geschenkt.
Ich so: „Warum schenkstn mir Blum‘?“
„Wieso?“
Ich so: „Na, haste was ausgefressn?“
„Wieso?“
Ich so: „Na, warum schenkstn mir Blum‘?“
„Na, nur so.“
Ich so: „Das globste ja selber nich!“ >

Selten sehnte ich mich so sehr nach einem funktionstüchtigen Musikabspielgerät.

Bier & Spiele

Ich sitze im „Spielehaus“, einer alternativ gehaltenen Lokalität inmitten von Halle, und versuche mich auf das Spiel zu konzentrieren, das M und ich – einer unbedeutenden Tradition folgend – ausgewählt haben: 3D-Vier-Gewinnt.

Drei Personen, nur wenig jünger als wir, in unscheinbare Markenklamotten gekleidet, betreten die Kneipe, einen freien Tisch suchen. Ich sehe kurz auf, begegne den Blicken von Person 1, einem leicht angeheiterten Brillenträger, der uns eingehend mustert, sich zum Nebentisch begibt, ein paar Worte mit seinen Freunden wechselt und anschließend laut loslacht. Selten hörte ich ein derart gehässiges Lachen, eins, das bewußt mit immenser Lautstärke in den Raum geschleudert wurde, um sich die Aufmerksamkeit aller zu sichern.
Angewidert wende ich mich ab, schaue auf das Spielbrett.

„Dannnnn-zick.“

Ich blicke erneut auf. Person 2 schaut mich an, hat gerade den Aufdruck meines Shirts vorgelesen. Für einen Moment stutze ich: ‚Kennt er Danzig [eine erwähnenswert gute Metalband]?‘, doch sein Gesicht zeigt blanke Leere – kein Wiedererkennen, keine abwertende oder gar gutheißende Meinung über die Musikgruppe, womöglich noch nicht einmal die Kenntnis der gleichnamigen Stadt in Polen.

Ich beglückwünsche Person 2 zu seiner Fähigkeit, vorlesen zu können und ernte eine genuschelte Entgegnung, deren Inhalt mich nicht erreicht.
Meine Blicke finden das Spielbrett und vertiefen sich darin.

Die Barfrau, klein und stämmig, doch nicht um Worte verlegen, gesellt sich zu den drei Neuankömmlingen, will sie aus ihrer Lokalität entfernen. Sie haben Hausverbot. Ihre Aufforderung zum Gehen wird von den Dreien nicht ernst genommen, sie diskutieren, werden beleidigend, hinterfragen die Gründe, scherzen plump. Die Barfrau bleibt ruhig, erinnert an ihre letzte Anwesenheit, an die zerschmetterten Bierflaschen, an den begangenen Hausfriedensbruch, an das erteilte Hausverbot, droht mit Polizei.

Die Drei lachen abfällig, sonnen sich gar im unrühmlichen Glanze ihrer Untaten, bleiben reglos sitzen.
Die Barfrau geht.

Die Drei holen Bierflaschen aus dem Rucksack, öffnen sie, stellen sie demonstrativ auf den Tisch, schauen höhnisch zur Barfrau hinüber, die gerade in einem Stadtmagazin blättert. „So wird das aber nichts!“, lachen sie.

Ein Vierter tritt hinzu, mit albernem Backenbart und ebensolcher Proll-Jogginghose. Schnell wird er von seinen Freunden über die Geschehnisse aufgeklärt. Er zuckt mit den Schultern, doch bevor er sich setzen kann, taucht die Barfrau wieder auf – flankiert von zwei Männern.

Der erste der beiden, muskulös, mit Pferdeschwanz, verschränkt die Arme vor der Brust, versucht vergeblich, bedrohlich auszusehen, wirft böse Blicke. Der zweite, groß, doch schlanker, kurzhaarig mit beginnender Kahlheit, spricht ein paar ruhige Worte.

Die Drei schauen, verstummen kurz. Der Vierte befindet sich bereits auf dem Rückzug. Die Verbleibenden erheben sich, langsam, wollen sich keine Blöße geben. Die Barfrau verschwindet samt ihrer Begleiter. Zögernd, in künstlicher, provozierender Gemütlichkeit ziehen die Drei sich an, finden ihre höhnischen Worte wieder, setzen sich gar noch einmal, stehen wieder auf – und gehen endgültig.

Ich wende mich wieder meinem Spiel zu – und verliere.

Menschen 6

Die Fläche der Fahrstuhlkabine umfaßt etwa 1,5 x 2 Meter. Ich steige ein, grüße höflich das ältere Ehepaar, das sich bereits in der Kabine befindet. Sie beginnt zu reden. Sie flüstert, unendlich leise, die heilige Fahrstuhlstille nicht verletzen wollend. Er brummt zustimmend.
Ich verstehe jedes Wort.

Menschen 5

Alte Menschen, die lauthals und kopfschüttelnd über die angebliche Langsamkeit der Kassiererin schimpfen – und sich kurz zuvor freiwillig in die offensichtlich längste Kassenschlange stellten.

Eine Jugendliche, mit einer olivgrünen Jacke bekleidet, auf der sie in krakligen Filzstiftbuchstaben ihre Englischkenntnisse kundtut:
„Punks not death.“