Menschen 4

Ich sitze auf einer Couch inmitten einer Kneipe. Die Stimmung ist gut, die Musik gedämpft. Ich kann meine Nachbarn reden hören. Ein Mädel erzählt von dem Jugendbekleidungsfachgeschäft „Olymp & Hades“. Die Thematik allein mag verwerflich sein, doch wesentlich schlimmer ist, daß sie versucht, die Wörter zu anglifizieren. „Ollimp änt Häjds“. ‚O mein Gott!‘, denke ich und korrigiere mich: ‚O meine Götter!‘. Denn die griechischen Götter an den ebenso griechischen Orten hätten sich bei derartiger Verunglimpfung ihrer Wohnstätten bestimmt die Haare gerauft und Zeus angefleht, ein paar gehörige Blitze zu werfen. Vorsichtshalber wechselte ich meinen Sitzplatz.

Gerade versuche ich herauszufinden, wann die nächste Straßenbahn an dieser Haltestelle eintrudeln würde, als zwei Gestalten auf mich zugehen bzw -torkeln. Beide sind in einer Art HipHopStyle gekleidet, der aber ziemlich billig aussieht – in jeglicher Hinsicht. Der erste, mit modischem Schirmstirnband auf Schädel nuschelt eine Frage in meine Richtung. Ich erahne, daß es um die Bitte nach Zigaretten und/oder Alkohol geht. Ich habe nichts, gebe das zu verstehen. Der nächste Versuch der Ausformulierung einer Frage bezieht sich auf die Straßenbahn. „Noch drei oder vier Minuten.“, sage ich. Der Freund tritt hinzu, erkundigt sich ebenfalls nach der Straßenbahn, möchte zudem noch die Uhrzeit erfahren. Ich gebe bereitwillig Auskunft und wundere mich, warum seine Lippe so blutig ist. Währenddessen pinkelt HipHopper Nr.1 in einen Hauseingang. Beide stelle angewidert aber belustigt fest, daß Urin stinkt. Nr.1 bückt sich und klaubt einen Zigarettenstummel vom Boden auf. ‚Wie dreckig muß es einem gehen, damit man so etwas tut?‘, frage ich mich. Er reißt den Filter ab und versucht, den kümmerlichen Rest anzuzünden. Die Bahn nähert sich. Das Feuerzeug streikt. Nr.2 hilft aus. Die Feuerzeugflamme versengt mehr Haut als Tabak. Die Bahn beginnt zu bremsen. Noch immer ist der Stummel unangezündet. Noch immer bemühen sich die beiden. Für einen Zug. Für einen lächerlichen Zug an einer alten, weggeworfenen Zigarette. Die Bahn hält. Nr.2 steckt sein Feuerzeug ein, geht zur Tür, findet unterwegs noch einen Zigarettenstummel im Rinnstein, steckt ihn ein. Die beiden setzen sich. Hin- und hergerissen zwischen Abscheu und Mitleid suche auch ich einen Sitzplatz – am anderen Ende der Straßenbahn.

Menschen 3

Ich ging an einer Frau vorbei. Sie klagte seufzend über diverse Krankheiten und Wehwehchen, und ich fragte mich, ob ich auch sämtliche Gespräche mit dieser Thematik füllen werde, wenn ich älter bin. Gerade meinte sie „…da wurde mir ganz schwarz vor Augen…“, als ihre Gesprächspartnerin desinteressiert einen von diesen säuberlich frisierten, winzigen Hunden am Halsband packte, hochhob und sich unter den Arm klemmte, als wäre er nichts weiter als ein unebdeutendes Plüschtier, ein modisches Spielzeug mit einer lächerlichen Schleife im Fell. Als ich weiterlief, sah mir der Hund traurig hinterher, fast, als wäre er sich seiner Bedeutungslosigkeit bewußt.

Eine Straßenecke weiter begegnete ich einem weiteren Hund. Ausgelassen wühlte er in einem riesigen Stoffwechselendproduktberg herum und ignorierte sein glatzköpfiges Herrchen, das verärgert nach ihm rief: „Bitch! Bi-itch!!!“ Für einen Augenblick war ich verdutzt. Wie konnte man seinen Hund derart titulieren? Doch als ich der wörtlichen Übersetzung des Begriffs gedachte, erschien die Namensgebung plötzlich weniger skurril. Verschmitzt lächelnd ging weiter.

Das Wort des Tages 8

Heute kommen gleich drei Worte in Frage, die ich allesamt in einer Mail verwendete, weswegen sie mir überhaupt erst bewußt wurden.

Das erste ist
fletzen.
Mein Duden kennt diese transitive Verbform erstaunlicherweise nicht, weswegen ich davon ausgehe, daß es sich um regionales Idiom handelt. Schön finde ich das lange E vor dem TZ, was irgendwie ungewöhnlich anmutet. [Vor einem TZ erwarte ich normalerweise einen kurzen Vokal]. Nicht minder schön finde ich, daß das Wort genauso bequem klingt wie seine Bedeutung.

Das zweite Wort des Tages heißt
vergraulen.
Mein weiser Duden behauptet, das wäre Umgangssprache. Immerhin kennt er es. Mir fiel auf, daß es nicht häufig verwendet wird, dabei doch einen recht interessanten Klang hat.

Das dritte und letzte Wort des heutigen Tages ist
Durchlaucht.
Diese Fürstenanrede klingt derart lächerlich, daß ich sie unbedingt mal erwähnt wissen wollte. Die Assoziation zu grünem Lauch will mir dabei nicht aus dem Kopf weichen…