Tageswort Nr. 50: Stuttgärtner

Seit drei Jahren wohne ich nun hier, und erst heute fiel mir auf, dass sich auf meinem Heimweg ein Buchladen befindet. Ein knuffeliger, echter, kein Weltbild-Quitschquatsch, keine Buchkettenfilialkasperei. Ein Buchladen.

Seit drei Jahren wohne ich nun hier, und es gelingt mir immer noch, mich inmitten der innersten Innenstadt orientierungslos zu fühlen – obwohl direkt an der nächsten Ecke Pflastersteine auf mich warten, die ich schon hundertfach mit meinen Schuhabdrücken veredelte.

Seit drei Jahren wohne ich nun hier, und noch immer glaube ich, mich nicht als Bestandteil dieser Stadt sehen zu dürfen. Die Bewohner machen es einem auch nicht leicht, geben sie sich doch oft genug verschlossen und verwehren sich Außenstehenden mit absurden Dialekten, deren Dechiffrierung mir zwar oft genug gelingt, die ich aber keinesfalls in meinem eigenen Wortschatz wiederfinden möchte, den Zugang zu ihrem Heiligtum.

Und doch: Zuweilen sagte ich „Kruschti“, wenn ich das Brötchen namens „Krusti“ bestelle – einfach, weil es so niedlich klingt. Und für die hiesigen Spezialitäten kann ich mich, insofern sie auf Vegetarismus herunterskaliert werden, durchaus mit Begeisterung füllen. Zudem scheue ich mich längst nicht mehr, meine Wohnung, meine hiesige Wohnung, inmitten dieser Stadt gelegen, als Heimat zu bezeichnen, also jeden Tag nach Hause heimzukehren, dorthin, wo ich mich – auch dies sei eingestanden – wohl fühle.

Natürlich fällt es mir leicht, mich wohl zu fühlen, solange es an meinem Aufenthaltsort Menschen gibt, die ich mag. Nun fällt es mir sicherlich auch leicht, nach drei Jahren fleißiger Miete die eigene Wohnung als einen Ort zu sehen, an dem ich mich selbst zu finden vermag, der also durch eigene Positivität auf die der gesamten Stadt abfärbt.

Und dennoch: Ich bin kein Stuttgarter. Vielleicht würde ich von Einheimischen auch niemals als solcher bezeichnet werden, doch wehre ich mich schon prophylaktisch und freiwillig gegen diesen Titel. Ich bin kein Stuttgarter.

Allerdings steckt mittlerweile ein bisschen Stuttgart in mir, ein kleines Gefühl des Hiesigen, ein bisschen Verbundenheit mit dem Hier.

Und dann fällt mir ein, dass Stuttgart seinen Namen vom einst hier befindlichen Stutengarten erhielt und daher noch immer ein Ross im Wappen trägt. Und dann fällt mir ein, dass im letzten Sommer meine beiden Terrassentomatenpflanzen über zweihundert Cocktailtomätchen produzierten.

„Ich bin ein Stuttgärtner.“, sage ich also und grinse in mich hinein.

Aus Kapitel Vier

Als ich etwa anderthalb Monate ziellos durch die Gegend gerannt war, ging die Sonne unter. Ich befand mich inmitten einer mir völlig unbekannten Wüste, die die unangenehme Eigenschaft hatte, alle zwei Minuten ihre Meinung zu ändern. Da ich keinerlei Lust hatte, im Dunkeln über emporschießende Wolkenkratzer zu stolpern und mich auch ein bisschen vor den Wüstenpinguinen fürchtete, die in solchen Gegenden beheimatet sind, beschloss ich, vorerst rückwärts weiterzulaufen. Diese Laufvariante reduzierte nicht nur meinen Bleistiftminenverbrauch auf das Doppelte, sondern verfügte auch über den unbestreitbaren Vorteil, dass man nur das sah, was man schon hinter sich gelassen hatte, was also als ungefährlich einzustufen war. Drohte Gefahr aus dem Bereich, den man fortan als »hinten« bezeichnete, konnte man immer noch so tun, als wäre man in die andere Richtung, also nach »vorne«, unterwegs und verwirrte so potentielle Angreifer, die man ja angeblich schon hinter sich gelassen hatte.

Ich schritt also voran, beziehungsweise zurück. Irgendwann stand ich inmitten eines Raumes, aus dem es keinen Ausweg gab.

Donnerstag - Eine Zahnbürstengeschichte -- TitelEin kleiner Einblick in Kapitel Vier der wundervollen Wortaneinanderreihung namens „Donnerstag – Ein Zahnbürstenroman„, die ich verfasste und bei amazon für nur 4,94 Euro als Ebook erwerbbar ist.

Kauft! Mein! Buch!

Donnerstag - Eine Zahnbürstengeschichte -- TitelKauft! Mein! Buch! — Mit diesen drei motivierend ausrufenden Wörtern ist eigentlich schon alles gesagt. Und dennoch werde ich noch ein paar zusätzliche Zeilen schreiben…

Donnerstag – Ein Zahnbürstenroman„- das ist die abenteuerliche und zugleich etwas skurrile Reise eines namenlosen Protagonisten durch Stinkende Steppen, Wüsten der Widerwart und allerlei Wortspielereien. Monster und Gefahren harren dort seiner ebenso wie wunderschöne Damen, gleißende Käfer und fliegende Pelzwesen.
Und das alles für eine Zahnbürste.

Donnerstag – Ein Zahnbürstenroman“ ist nicht nur mein erstes eigenes Buch, sondern auch ab sofort auf amazon erhältlich. Für knuffige 4,94 Euro!


Doch wie kam es dazu? Wie kann es sein, dass der nette Bastian, Autor dieses Blogdingsbums, plötzlich ein Buch darbietet?
Nun ja. Wie die meisten Geschichten begann auch diese mit einem Satz.

Eines Tages war es Donnerstag.

Am Anfang des Jahres 2005 entsprang er meinen tippenden Fingern und brachte noch ein paar Freunde und Verwandte mit. Ihnen mangelte es nicht an Albernheit, das stellte ich rasch fest, doch als ich nach ein paar Absätzen plötzlich ein ganzes Kapitel auf meinem Bildschirm entdeckte, hatte ich Blut geleckt. Oder, um bei der Geschichte zu bleiben, Zahnpasta. Denn rasch folgten weitere Kapitel und brachten den Kern der Handlung mit sich, das Zentrum, um das die Buchstabenjonglage rotieren sollte: Ein namenloser Ich-Erzähler sucht seine Zahnbürste.

Grinsend schrieb ich weiter, ergänzte Fußnoten und versah selbst diese mit Fußnoten. Zehn Kapitel würden es werden, schätzte ich, doch als ich Kapitel Elf erreichte, zweifelte ich an meiner Schätzung.

Dann begannen die Schwierigkeiten. Die Pausen zwischen den einzelnen Schreibstücken wuchsen, und immer wenn ich mich erneut an das Werk, das schon längst den Titel „Donnerstag“ trug, setzte, musste ich feststellen, dass ich die vorangegangenen Kapitel gerade nicht bei mir trug, dass ich einen anderen Rechner benutzte, ja, dass ich gar hieroglyphenartig auf herumliegende Schmierblätter krakelte. Sechs verschiedene Schreibprogramme waren es letztlich, in denen meine Texte entstanden; zahlreiche Dateien bevölkerten nicht minder zahlreiche Ordner. Die Kapitelnummerierung geriet vollkommen in Vergessenheit, und nach Kapitel Vierzehn, das anscheinend doppelt existierte, schrieb ich nur noch „Ein neues Kapitel“ oder „Noch ein Kapitel“ über die Textblöcke.

Ende 2011 nahm ich mir ein Herz und einen Rechner und versuchte, Chaos in das Wirrwarr zu bringen – mit dem Erfolg, dass ich begierig wurde, die Geschichte weiterzuschreiben, ja: sie endlich ihrem Ende zuzuführen. Also schrieb ich, füllte Zugfahrten und anbrechende Nächte mit eifrigem Tastaturgeklapper. Formulierungen geisterten mir durch den Kopf, selbst wenn ich mit anderem beschäftigt war, und schmunzelnd notierte ich sie – nur um Tage später mit verwirrtem Fragezeichenblick ausgestattet keine Ahnung zu haben, was mir meine Notiz sagen wollte.

Das Jahr 2012 begann, und die Geschichte, die längst mehr geworden war als nur eine Geschichte, hörte auf. 42000 Wörter hatte ich in 30 Kapitel gestopft und mit über 200 Fußnoten verziert – genug, um einen kürzeren Roman zu füllen. Genug, um alsbaldige Veröffentlichung zu ersehnen. Genug, um weitere Schritte einzuleiten.

Was folgte, war Formatierungswahn, massive Korrekturleserei und weiteres Formatieren. Die Fußnoten verspotteten mich ebenso wie die zahlreichen erfundenen Wörter, die das Rechtschreibprogramm anprangerte. Immerhin gab es Licht am Ende des Donnerstages. Denn amazon lieferte mir die Möglichkeit, mein Werk auf ihrer Seite zum Verkauf anzubieten. Als Ebook, fürs Kindle – oder für die Kindle-Apps, die kostenfrei für iPhones, iPads und andere Mobil- und Immobilgeräte herunterladbar sind. Ich war begeistert, zähneknirschte mich durch weitere Korrekturen, ärgerte mich Kapitelanfängen und Bildeinbindungen herum – und hüpfte freudvoll gen Himmelsgewölbe, als ich endlich das Buch, mein Buch, im Sortiment von amazon.de entdeckte.

Wuhuu!, rief ich, und es gab kein Messgerät, das ausgereicht hätte, um die Gleistifizität meines Grinsens zu messen.

Und hier ist es nun, das Werk, an dem ich sechs Jahre lang schrieb, die Geschichte, die Welten bewegen und Elefanten blubbern lassen wird:

Donnerstag – Ein Zahnbürstenroman

Für lächerliche 4,94 Euro könnt ihr es sofort erwerben und auf euer Kindle, euer iDingsbums, eure Android-Gerätität ziehen – und dann lesen, lesen, lesen!

Also: Kauft! Mein! Buch!

Tageswort Nr. 49: Spreeaue

Das heutige Wort des Tages sei

Spreeaue

Seitdem ich das Wort vor mehreren Tagen zum ersten Mal las, geistert es mir durch den Schädel. Denn fünf hintereinander gereihte Vokale beeindrucken mich durchaus ein bisschen, und man ich musste mir schon einige Mühe geben, ein Wort zu finden, das ähnlich vokalintensiv daherkommt.

Beispielsweise ersann ich das Fortpflanzungsprodukt der allseits beliebten eierlegenden Wollmilchsau: Saueier. Das klingt aber ziemlich konstruiert, weswegen ich einfach mal Teeeier als real existierendes Konkurrenzwort zu Spreeaue erwähle.

Mühsam wird es, will man ein Wort finden, das nicht nur fünf, sondern sechs Vokale aneinanderreiht. Leider gab mein zermartertes Gehirn nicht viel Sinnvolles preis und wollte auch partout nicht von den Eiern abweichen. Falls also irgendjemand auf die Idee kommen sollte, Kleie zu Figuren zu formen, bitte ich um die Entwicklung diverser Kleieeier, die allein schon wegen ihres zweifachen ei-Lauts eine gewisse Ästhetik besitzen.

Winterklang

Meine Sohlen formen Lieder
als mein Schritt durch Schnee sich knirscht
schreiben sie in langen Zeilen
in mit Weich bedeckten Grund
und in Winters eisig Winden
lädt ein Flockenmeer zum Tanz

Wenn ich atmend innehalte
schweigt die weiße Melodie
doch durch wirbelkalte Lüfte
hüpft und lacht es immerfort
lockt mein Lächeln in die Himmel
lädt mich ein zu neuem Lied.

Morgenwurm 52: Anfang

Der berühmte erste Schritt.

Nicht umsonst werden Montage verachtet. Eine neue Woche beginnt, und es fällt schwer, die nötige Zuversicht aufzubringen, um ihr begegnen zu wollen. Das Wochenende lächelt noch heiter in gestrigen Gedanken.

Nicht umsonst werden Morgende verachtet. Das unsanfte Entreißen aus traumwarmen Welten hinein in Wirklichkeit und Pflicht.

Und doch.

Ich mag es, wenn die Woche anbricht, wenn Erlebtes noch im Herzen schlummert und weiteres darauf wartet, gefunden zu werden. Ich mag es aufzuwachen, mag es einen neuen Tag zu erahnen, seine Möglichkeiten mich locken zu lassen.

Und doch.

Die wärmende Weichheit der Decken klammert sich an mich fest, und nur die Verlockung auf weitere Hitze, feucht auf mich herabregnend, überredet mich, den ersten Schritt zu tun. Der kein Schritt ist. Eher ein Sturz ohne Aufprall.

Als ich dem dampfenden Badezimmer entweiche, findet mich die Kälte. ‚Gib dir keine Mühe.‘, denke ich. ‚In wenigen Minuten bin ich ohnehin bei dir, draußen, wo Minusgrade an meinem schützenden Körperwulst knabbern und mein Rad mich durch den Winter trägt. Gibt dir keine Mühe.‘

Kaum habe ich die ersten Kleidungsstücke übergeworfen, schweigt die Kälte, wartet auf ihren großen Moment. Geduldig lässt sie mich gewähren, mein Frühstück vertilgen und dem Lied in meinen Ohren lauschen.


Solstafír – „Fjara“

Begegnungen 66: Klitzeklein

Gerade wollte ich die Finger auf die Tasten legen, um eine weitere Geschichte zu schreiben, als unter dem B ein klitzekleiner Elefant hervorkroch.
„Huch!“, sagte ich überrascht, denn ich war nicht auf Besuch eingestellt-
„Guten Tag!“, grüßte der klitzekleine Elefant und hob den noch klitzekleineren Zylinder mit dem klitzekleinen Rüsselchen vom klitzekleinen Köpfchen. „Wissen Sie zufällig, wie spät es ist?“
„Kurz nach.“, antwortete ich, ohne zu zögern.
„Kurz nach was?“, wollte der klitzekleine Elefant wissen.
„Kurz nach der Überschrift.“, meinte ich und zeigte auf den Bildschirm.
Der klitzekleine Elefant nickte bestätigend.
„Stimmt.“ sagte er und sah sich um.
„Huch!“, rief er plötzlich, und der noch klitzekleinere Zylinder fiel ihm vom klitzekleinen Köpfchen. „Ich bin ja unter dem B hervorgekommen!“
„Richtig.“
„Das war doch ganz anders geplant!“ Hektisch fuchtelte der klitzekleine Elefant mit dem klitzekleinen Rüsselchen durch die Luft. „Ich mag das B doch überhaupt nicht!“
„Ich schon.“, meinte ich. „Ist mein Lieblingsbuchstabe.“
„Meiner ist das E.“, sagte der klitzekleine Elefant und grinste. Klitzekleine Elfenbeinstoßzähnchen blitzten im fahlen Licht des Monitors. „E wie ‚Elefant‘.“
„In ‚Elefant‘ stecken sogar zwei E’s!“, rief ich begeistert aus, und der klitzekleine Elefant grinste noch ein bisschen mehr.
„Ich mag Wörter, die mehrere E’s enthalten.“, sagte er. „‚Regen‘ zum Beispiel. Oder ‚Ende‘.“
„‚Ende‘?“, wunderte ich mich.
„‚Ende‘ ist das schönste Wort überhaupt.“, meinte der klitzekleine Elefant und hob begeistert das klitzekleine Rüsselchen. „Weil es nämlich mit einem E anfängt und mit einem E aufhört.“
„Ach.“, sagte ich. Mehr wusste ich nicht zu sagen.
Auch der klitzekleine Elefant schwieg eine Weile. Dann sah er zu mir herauf.
„Könnten Sie mir einen riesigen Gefallen tun?“, fragte er, und seine Stimme wurde ganz leise.
„Na klar.“ sagte ich, denn ich mochte es, klitzekleinen Wesen riesige Gefallen zu tun.
„Könnten Sie mein Lieblingswort auf dem Monitor erscheinen lassen?“
„Ihr Lieblingswort?“
„Das wäre wundervoll.“, meinte der klitzekleine Elefant und errötete ein bisschen.
Ich nickte, lächelte ihm zu und tippte langsam und zärtlich:

ENDE

Willkommen in der Gegenwart

Natürlich, Bahnfahren. Einen Grund sich aufzuregen, findet hier jeder. Ich auch, doch ich weigere mich.

Als man Automaten erfand, um die Warteschlangen zu reduzieren und den Ticketerwerb zu vereinfachen, freute ich mich. Ich ignorierte, dass die Bedienung der Automaten für Ungeduldsmenschen und Ahnungslose umständlich und wenig intuitiv war, regte mich nicht darüber auf, dass die Verarbeitungsgeschwindigkeit des Gewählten unnötig langsam erfolgte und dass der Touchscreen nicht selten berührungsignorant war.

Die Bahn versuchte, den Entwicklungen der Gegenwart zu folgen, und ich freute mich darüber.

Im Laufe der Jahre verbesserten sich die Maschinen, veränderte sich die Menüstruktur, und auch wenn die Geschwindigkeit zunahm, misslang es noch immer, den Ticketerwerb unkompliziert zu gestalten.

Als man das Online-Ticket einführte, um auch das Internet in den Alltagsbetrieb der Bahn einzubinden, freute ich mich. Denn tatsächlich empfand ich es als angenehm, auf diese Weise ein Ticket zu erwerben. Nicht von Anfang an, doch ab dem zweiten Mal, als sämtliche Identitäten und Verknüpfungen bestätigt waren, vermochte mich die Bestellbarkeit ohne Bahnhofshallenbesuch immer wieder zu begeistern.

Dass das ausdruckbare Online-Ticket irgendwann eine zweite Seite erhielt, deren einzige Funktion Umweltbelastung zu sein schien, dass der Ticketkauf mit diversen Browsern nicht abschließbar zu sein schien, dass man Platzreservierungen nur für die gesamte Fahrt und nicht für einzelne Streckenabschnitte buchen konnte – all das vermochte nur selten, mir ein wütendes Grummeln zu entlocken.

Ich sah die Vorteile und beglückwünschte die Bahn dazu, mal wieder in der Gegenwart angekommen zu sein, beziehungsweise: einen guten Versuch vollbracht zu haben. Verbesserungspotential gab es genug, doch ich war zuversichtlich.

Dann erwarb ich ein Smartphone und entdeckte die bahn-App. Erneut hatte die Gegenwart Einzug gehalten, und ich freute mich über zukünftige Papiervermeidung.

Doch wieder war die Idee besser als ihre Ausführung. Das City-Ticket, das man als Bahncardbesitzer zu jeder online gebuchten Fernfahrt geschenkt bekam, existierte nicht, wenn der Kauf über die App erfolgt war. Dass ich noch immer Bahncardbesitzer und der Kauf noch immer online erfolgt war, zählte nicht als Argument.

Auch der Ticketerwerb bei eingebundenem ÖPNV einzelner Städte verursachte Sorgen, die mit der App nur schwer oder nicht zu lösen waren. Immerhin waren die Zugbegleiter geschult, und niemals begegnete mir auch nur eine Person, die nicht wusste, wie mein Ticket einzuscannen und zu verifizieren war.

Dennoch blieb ich bei Papier, beim guten alten Online-Ticket, und dem damit einhergehenden City-Ticket, ging einen Schritt zurück in die Vergangenheit, weil die Bahn es versäumt hatte, alle Zweige ihrer Verkaufsmaschinerie den eigenen Entwicklungen unterzuordnen.

Und noch mehr lag im Argen: Als ich meine Bahncard vergessen hatte, die gleichzeitig der Verifikation meines Tickets diente, war es nicht möglich zu beweisen, dass ich stolzer Bahncardbesitzer war. Und das, obwohl nur geprüft werden musste, ob hinter der  Bahncardnummer, die nunmal auf dem Ticket zu lesen war, tatsächlich die selben Daten standen wie auf meinem Personalausweis.

Doch statt dessen begnügte man sich mit einer altpapiernen Übergangslösung und mit zwei Briefen, die mir Wochen später verkündeten, dass eine Prüfung die Existenz meiner Bahncard bestätigt hatte und keine Strafkosten zu erwarten seien.

Als ich am Freitag begann, mit IC und ICE quer durch Deutschland zu fahren und verspätungsbedingt eine andere Verbindung nehmen musste, regte ich mich nicht auf. Vor allem, weil ich die längere und somit teurere Verbindung nutzen durfte, ohne Zusatzkosten zu begleichen. Und weil ich immerhin im Warmen saß.

Leider hatte sich mein Drucker daran erfreut, das Online-Ticket etwas schwammig auszugeben, und als ich das bemerkte, versuchte der Kontrolleur bereits vergeblich, den Code einzuscannen. Mehrfach. Bis er aufgab und mühsam die zum Code gehörige Nummer eintippte. Dann war alles gut.

Im nächsten Zug wollte man sich gar nicht erst die Mühe machen, es zu versuchen. Das Ticket wurde einfach so abgenickt.

Als die Rückfahrt begann, noch immer mit schwammig bedrucktem Ticket, stieß ich auf ersten Widerstand. Die Kontrolleurin versuchte es zweifach, gab dann genervt auf und meinte, dass das alles ihr nichts nütze. Die geheime Identifikationsnummer fand sie anscheinend nicht, und als ob ich sie persönlich beleidigt hatte, gab sie mir das Ticket zurück, ohne es entwertet zu haben.

Im nächsten Zug wurde ich erneut geprüft. Der Kontrolleur brachte eindeutig mehr Geduld auf, ignorierte meine Hinweise und scannte mehrfach vergeblich. Dann tippte er, nickte nach einer Weile bestätigend – und gab mir das Ticket zurück, ohne es entwertet zu haben.

Mir sollte es egal sein, doch ein Personalwechsel erforderte einen weiteren Versuch. Auch hier war Geduld seitens der Kontrolleurin vorhanden – und offensichtlich auch die Fähigkeit, korrekt zu tippen. Und freundliche Auskunftsbereitschaft.

Denn keineswegs war das Papierstück das einzige Exemplar meines Tickets, das ich besaß. Schließlich befand sich sowohl auf meinem Notebook als auch auf meinem Telefon   die pdf-Datei, die nunmal mit dem Abschluss eines Online-Ticket-Kaufs einhergeht.

Doch die Kontrolleurin konnte nur traurig lächeln. Während es nämlich im Rahmen der bahn-App durchaus normal ist, Smartphones abzuscannen, ist es den Kontrolleuren nicht gestattet, die papiernen Tickets in ihrer digitalen Ursprungsform, also auf Rechner oder Telefon, abzuscannen. Warum, das wusste die freundliche Zubegleiterin auch nicht.

Ich schon. Denn wieder hatte die Bahn den lobenswerten Versuch gewagt, sich der Gegenwart zu nähern – und vergessen, all ihre Bestandteile davon in Kenntnis zu setzen.

Die Kontrolleurin ging lächelnd weiter. Immerhin.

 

Begegnungen 65: Bbeesssseerr

Ich saß an meinem Schreibtisch und tippte liebevoll auf der Tastatur herum. Eine Geschichte formte sich vor mir auf dem Bildschirm und mit zufriedenem Lächeln schrieb ich ihrem Ende entgegen. Etwa anderthalb Meter über mir hing eine kleine Spinne in ihrem Netz und beobachtete mich.

Ich versuchte, sie zu ignorieren. Nicht nur, weil meine Gedanken in den Tiefen der Geschichte wateten und sich nur schwer von ihr lösen konnten, sondern auch, weil ich eine gute Erziehung genossen hatte und wusste, dass es sich nicht gehöret, in anderer Leute Wohnzimmer zu starren. Und das Spinnennetz war so etwas wie das Wohnzimmer des neugierigen Achtbeiners, wenngleich etwas dürftig eingerichtet.

„Deine Geschichten sind recht gut.“, meinte die Spinne, als ich gerade einen kurzen Absatz beendet hatte.

Ich schaute nach oben. An seidenem Faden hing sie über mir, mittlerweile keine zehn Zentimeter entfernt, und starrte auf den Bildschirm. Sie schien tatsächlich zu lesen.

„Danke.“, sagte ich, denn ich hatte eine gute Erziehung genossen und wusste, dass man sich für Komplimente bedankte.

Die Spinne nickte, und für ein Wesen, dass nur aus Kopf und Beinen zu bestehen schien, sah das erstaunlich elegant aus. Fast schon majestätisch.

„Sie könnten besser sein.“, sagte die Spinne und ließ langsam drei ihrer Beine kreisen.

Ich verstand nicht.

„Die Geschichten.“, sagte die Spinne. „Sie könnten besser sein.“

„Ach?“, wunderte ich mich.

„Ja.“, sagte die Spinne und ließ sich noch etwas tiefer sinken. „Pass auf.“

Bevor ich etwas sagen oder überhaupt daran denken konnte, etwas dagegen zu unternehmen, war sie auf meinen Kopf gekrabbelt, kletterte geschwind über mein Gesicht, meinen Körper hinab, die Arme entlang, auf die Hände und schließlich auf die matt beleuchteten Tasten meiner Tastatur.

Dann sprang sie.

Ein leises Klicken ertönte, und auf dem Bildschirm erschien ein E. Die Spinne sprang erneut, und ein weiteres E entstand. Gerade als ich glaubte, sie würde nun diese Weise fortfahren, bis ihr die Lust verging, sprang sie auf das S. Und noch einmal.

Nach und nach füllte sich die Bildschirmzeile: „Eess  wwaarr …“

„Es war einmal?“, riet ich.

„Genau.“, nickte die Spinne und keuchte ein bisschen. Die Tastenspringerei hatte sie sichtlich erschöpft.

„Aber warum benutzt du jeden Buchstaben doppelt?“, wunderte ich mich.

„Weil die Geschichte dann besser wird.“

„Besser?“

„Besser!“, meinte die Spinne mit einer Gewissheit, die mich fast schon überzeugte.

„Zumindest besser für Spinnen.“, ergänzte sie nach einer Weile.

„Wieso das denn?“, fragte ich interessiert.

„Weil wir doppelt so viele Gliedmaßen haben wie ihr Menschen.“, antwortete die Spinne, und ihr Tonfall ließ vermuten, dass das doch offensichtlich war. Und irgendwie war es das auch.

„Aber ich schreibe hauptsächlich für Menschen.“, gab ich zu bedenken. „Die wiederum Probleme haben werden, doppelbuchstabige Wörter zu lesen.“

„Schade.“, sagte die Spinne und löschte hüpfend ihr Werk. „Aber du könntest zumindest die Überschrift verschönern.“

„Das könnte ich.“, bestätigte ich.

Die Spinne nickte noch einmal und krabbelte zurück über meine Arme, meinen Körper hinauf, über meinen Kopf und schließlich ihren eigenen seidenen Faden empor. Sie winkte mit der Hälfte ihrer Gliedmaßen und verschwand dann in ihrem Wohnzimmer.