Abschied

Der Blick durch die zerkratzen Scheiben der Straßenbahn gilt der altbekannten Temperaturanzeige. 1,6° Celsius. 9 Uhr morgens.

Ich bedaure den Winter, der sich langsam auf den Heimweg zu begeben hat, schenke ihm mitleidige Gedanken. Als ich aussteige, bemerke ich letzte, schmutzige Reste Schnee. Wie vergessene Vergangenheiten liegen sie im Matsch und beweinen ihr Vergehen mit eisigen Tränen.

Erstmalig vernehme ich das süße Trillern einiger Singvögel. Eine Amsel läßt sich neben mir nieder und berührt mich mit ihrem Lied. Adieu, lieber Winter. Selbst die Vögel wissen, daß du gehst.

Gern hätte ich noch einen Schneemann gebaut, Schuhabdrücke in unberührtes Weiß gesetzt. Gern wäre ich noch einmal tanzend durch die Schneewinde gelaufen, hätte versucht, die kalten Flocken mit der Zunge zu fangen.

Und wie als Antwort beginnt es zu schneien, erst leise, lieblich, dann stärker. Schneeflocken wirbeln in mein Gesicht, in mein Haar. Unzählige weiße Küsse taumeln mir fröhlich entgegen.

Gerührt halte ich die Zeit an, bedanke mich lächelnd für diesen zauberhaften Abschiedsgruß.