Geist

Als ich das Abteil betrat, sahen die beiden alten Leute nicht auf. Eifrig wühlten sie gemeinsam in einer kleinen Tasche und zauberten eine Zeitung und ein Buch hervor. Ich setzte mich, nahm einen Viererplatz in Beschlag und überlegte, in welche Richtung der Zug fahren würde.

Die beiden Alten nahmen keinen Anstoß an meinem Platzraub, an meinen Schuhen auf der Sitzkante, vertieften sich in ihre Lektüre. Heimlich schaute ich hinüber. Keinerlei Reaktion erfolgte. Ich blickte offensichtlich hinüber, wendete demonstrativ Kopf und Oberkörper in ihre Richtung, starrte sie aufdringlich an. Die alte Frau drehte sich zu ihrem Mann und murmelte ein paar Worte. Er antwortete, sie lachte, las weiter. Ich bin ein Geist.

Mein Schnupfen machte sich bemerkbar, machte mich bemerkbar. Ich nieste lautstark. Mehrmals. Anschließend vernahm ich nur Stille, keine Genesungswünsche, keine Regung, keinen Laut aus den Mündern der Alten. Selbst als ich mir die Lunge aus dem Hals hustete, als ich mich keuchend an der Lehne festkrallte, um nicht von mir selbst vom Sitz zu gerissen zu werden, als mir jede Luft zum Atmen fehlte und ich im Geiste flehte, daß dieser Hustenanfall vorbeigehen möge, blickten die beiden Alten nicht zu mir herüber. Ich war unsichtbar.

Heimlich faßte ich in mein Gesicht, tastete nach meinem Leib, befürchtete, mit der Hand hindurchzugleiten. Doch ich spürte mich, war noch da.

Die Alten erhoben sich, halfen sich gegenseitig beim Bekleiden. Sie sahen zu mir – doch sahen mich nicht. Als sie ausstiegen, fragte ich mich, wo ich bin. Noch immer hier?

Ich sah mich, meinen Körper, fühlte mich, konnte mich atmen hören. Verweilte ich noch in dieser Welt? Oder war ich unsichtbar, für mich allein zu sehen, ein Geist, ein Dämon gar?

Der Schaffner trat ins Abteil, wünschte meine Fahrkarte zu sehen.

Ich atmete auf: Ich war noch immer hier.