Die Mensa bot heute wenig Erbauliches an. Einzig die „Fernöstliche Pfanne“, kleingeschnittenes Schweinefleisch mit undefinierbarem Gemüse in unappetitlich brauner Soße, schien genießbar zu sein. Sättigungsbeilagenalternativen zu Kartoffeln standen aufgrund der fortgeschrittenen Uhrzeit nicht mehr zur Auswahl, doch störte mich das nicht. Ich wählte noch einen leckeren Quark als Nachtisch, bezahlte und begab mich an einen abgelegenen Tisch in der Ecke. Unangenehm berührt mußte ich feststellen, daß in der gesamten Mensa Wesen herumlungerten, die ich nicht zu sehen wünschte. Ich holte das Buch aus dem Rucksack und legte es auf den Tisch.
Jahrelange Mensaerfahrung hatte mich gelehrt, wie man spannende Lektüre mit soßenfleckminimierter Nahrungsaufnahme kombinieren konnte: Ich brauchte nur sämtliche Nahrungsmittelkomponenten kleinzuschneiden und zusammenzurühren. Heute hatte ich also nur die Kartoffeln zu zerquetschen und mit dem braunsoßigen Geschnetzelten zu vermengen. Anschließend konnte ich das Mittagessen geistesabwesend mit Löffel oder Gabel in den Mund schaufeln, ohne für Zerkleinerungsprozesse oder Beilagenauswahlverfahren vom Buch aufsehen zu müssen: Meine Fernöstliche Pfanne war ein einziger Haufen Matsch.
‚Ich mag Matschepampe!‘, ging es mir durch den Kopf, und ich mußte mir recht geben.
Schließlich liebe ich es, das, was im Magen sowieso zusammentreffen wird, schon vorher zusammenzurühren, zu einer homogenen Masse zu verbinden, der es dann zwar an Ästhetik, aber nicht an Geschmack mangelt. Ich liebe es, das Messer wegzulegen und einfach nur schaufeln zu können. Ich liebe Quark, Pudding und Joghurt, liebe Geschnetzeltes jeder Art, liebe Aufläufe, Bauernfrühstück, Rührei und dickflüssige Suppen.
Deswegen mißtraue ich auch Spaghetti: Der Aufwand, der für die Nahrungsaufnahme betrieben werden muß, ist das Essen zuweilen gar nicht wert. Ähnlich erging es mir früher mit Caipirinha. Dieses endlose Rühren, Stochern und Durch-Den-Strohhalm-Saugen bedeutete mir viel zu viel Mühe für den nicht überzeugend guten Geschmack. Auch Raclette beurteile ich ähnlich: ein Essen in winzigen Raten, die allesamt eher appetitfördernd als -stillend wirken.
Dabei erstreckt sich meine Abneigung nicht auf eine gemütliche, zeitintensive Nahrungsaufnahme. Ich selbst speise eher genießerisch [= Euphemismus für „lahmarschig“] und mag es, wenn nach dem Essen nicht alle gleich aufspringen und sich in verschiendenen Ecken der Wohnung verteilen oder gar übereifrig auf den Abwasch stürzen. Ich liebe es sogar, eine Forelle ihrer Gräten zu berauben, den kompletten Knochenbau in einem gründlich vorbereiteten Streich zu entfernen, um sich dann genüßlich dem Verbleibenden zu widmen.
Doch es gibt Augenblicke, in denen ich mich schon während des Essens zurücklehnen möchte, in denen ich meiner Faulheit nachzugeben suche, in denen der Prozeß der Nahrunsgmittelaufnahme möglichst aufwandsreduziert ablaufen sollte. Ein Löffel genügt, und die zu einem unappetitlichen aussehenden aber äußerst wohlschmeckenden Brei verrührte Speise findet ihren Weg in meinen Mund.
Fast, als wäre ich im Schlaraffenland…