Nicht zu schlafen, nicht dem dämmrigen Begreifen des Jetzt, nicht den eigenen Gedanken, nicht dem Bewußtsein der Daseinslosigkiet gegenüberzutreten, nicht die Blicke der Gegenwart zu entreißen, die Augen zu schließen und in gleichem Morgen erneut öffnen zu müssen, nicht haltlos zu fallen aus dem Heute in die Fremde, nicht das Wissen, die Hoffnung um den Eigenwert zu verlieren, neu suchen zu müssen, nicht zu vergessen, im Traum, im Taumel, neu zu finden, neu zu erfinden, nicht zu fliehen, vergeblich, der Leere im Herzen ausgesetzt.
Laßt mich nicht schlafen, nicht ruhen, nicht wissen, nicht träumen. Laßt mich nicht weichen, nicht für die Neugeburt sterben, nichtdas flackernde Licht loslassen müssen. Laßt mich nicht begreifen, niemals begreifen, was ist, was ich bin.
Tag: 1. Mai 2005
Joggblog 2
Punkt neun klingelte mein Wecker. Ich hatte noch nicht einmal die Möglichkeit, andere zu beschimpfen, weil meine eigene Idiotie verantwortlich dafür war, daß ich nach sechs Stunden Schlaf bereits wieder aus selbigem gerissen wurde. Allerdings kamen dann irgendwann noch Stimmen auf dem Hof und läutende Kirchenglocken hinzu, die mich endgültig aus den Federn vertrieben.
Die Sonne schien und lockte mich nach draußen. Ich entsann mich der Eröffnung der Sternbrücke, die gerade beginnen sollte und demensprechend Unmengen von Leuten anziehen würde. Trotzdem entschloß ich mich spontan dazu, mich selbst zu verkaspern doch noch joggen zu gehen. Schließlich wollte ich wach werden, wenn ich schon nicht in das Vergnügen kam weiterzuschlafen.
Also schnappte ich mein Rad und fuhr zum Stadtpark. Die Sternbrücke war noch nicht geöffnet wurden, doch Hunderte Ungeduldiger drängten sich davor zusammen, wollten allesamt die ersten Benutzer der neuen Brücke sein. Ringsum befanden sich die üblichen Freßbuden und natürlich eine wundervolle mdr-Gute-Laune-Bühne.
Allein der Name ließ mich flüchten, inmitten durch die Menschenmassen, die orientierungslos durch die Gegend irrten. Erstaunlich, wieviele Menschen sich um diese Uhrzeit hier tummelten. Erstaunlich, wieviele Fahrradfahrer [vorwiegend älteren Baujahres — die Fahrer, nicht die Räder] die Wege verstopften.
Nun ja, die Kombination aus Sonntag, Feiertag, städtischer Großfestivität und Sonnenschein lockte wohl selbst den Unwilligsten hervor und auf sein bisher unbenutztes Rad.
An der Hubbrücke, der alten, kleinen Fußgängerbrücke, stauten sich die riesigen Menschenmassen zu enormen Schlangen, in die auch ich mich einzureihen hatte. Mitten auf der winzigen Brücke hatte ein gewiefter Geschäftsmann einen kleinen Getränkestand eröffnet und ein paar alberne Bänke hingestellt.
‚Keine gute Idee.‘, dachte ich, war es doch jetzt, wo die Sternbrücke noch geschlossen war und alle Leute über die alternative Hubbrücke zu gehen hatten, zu früh, um sich bereits mit Getränken vollschütten zu wollen. Und nachher, nach Eröffnung der Sternbrücke, wollte bestimmt kaum noch jemand die winzige Hubbrücke nutzen.
Auf der anderen Seite der Brücke schwang ich mich auf das Rad und schlängelte mich zwischen den vielen Menschen hinduch, fand nur mit Mühe eine freie Stelle an einem Zaun, wo ich mein Gefährt anlehnen und anschließen konnte.
Ich hatte mich diesmal mit halblanger Hose und einem schlichten T-Shirt bekleidet, war also besser an das Wetter angepaßt. Auch besaß meine Hose heute verschließbare Taschen, in denen sich nicht nur mein Schlüssel, sondern auch ein Notfall-Geldschein verstauen ließen.
Ich rannte los, zu schnell, zügelte mein Tempo, fand mich rasch in eine annehmbare Geschwindigkeit. Je weiter ich mich von der Sternbrücke entfernte, desto weniger Menschen wuselten um mich herum.
‚Vergiß die anderen. Vergiß die Strecke.‚, sagte ich mir und rannte.
Zwischenzeitlich gelang es mir tatsächlich zu vergessen, nur den Boden vor mir oder einen unnennbaren Punkt am Horizont zu sehen, die gesamte Welt auszuschließen, meinen Atem, das Gefühl in den Beinen zu vernachlässigen, einfach zu rennen, automatisch, ohne bewußte Kontrolle, mich gehen zu lassen, als wäre nichts weiter existent. Ein schönes Gefühl.
Mir kamen unzählige Radfahrer, Spaziergänger aber auch ein paar Jogger entgegen, die zuweilen mich aus meiner Konzentration rissen, doch nicht weiter störten. In meiner Richtung war weniger Betrieb, was mich durchaus erfreute.
Nachdem ich gestern schon am Wegesrand mehrere Vogeleierschalen entdeckt und diesen Bewies neuentstandenen Lebens als faszinierend und schön erachtet hatte, hatte ich heute größeren Grund zur Freude. Nur wenige Meter vor mir huschte ein Reh aus dem Gebüsch, lief ein paar Schritte auf dem Weg und versteckte sich dann wieder im Unterholz. Es hatte keine Angst gehabt, wollte nur nichts mit mir laut atmenden Wesen zu tun haben. Mich Stadtkind vermochte diese Begegnung natürlich zu bezaubern, und mir fiel es schwer, nicht hinterherzublicken, sondern mich auf auf meine Strecke zu konzentrieren.
Dann erreichte ich die Stelle, an der ich am Vortag aufgegeben hatte. Ich lächelte in mich hinein, spürte doch deutlich noch Reserven in mir, spürte, daß ich mich selbst überbieten konnte. Der Weg war zuende, ich drehte um, rannte weiter, stolz auf mich selbst.
Der Rückweg war beschwerlicher, nicht nur, weil mir allmählich die Kräfte zur Neige gingen, sondern auch weil nun unzählige Fußgänger und Radfahrer den Weg bevölkerten und Hindernisse bildeten. Als besonders schlimm erachtete ich es, wenn ich Radfahrer überholen mußte, weil die älteren Menschen so unendlich langsam vor sich hin zu rollen schienen, daß mir gar keine andere Wahl blieb, als vorbeizueilen. Mein Konzentration schwand; die innere Ruhe war verloren.
Doch an ihre Stelle war eine Art Kampfesgeist getreten, der Wille weiterzurennen, noch ein Stück, immer weiter, ja womöglich gar bis zu meinem Fahrrad zurück.
Ich lief. Immer wieder dachte ich darüber nach, daß es sinnvoll wäre aufzuhören, doch wollte nicht, wollte noch ein paar weitere Meter schaffen.
Die Sternbrücke kam in mein Blickfeld.
‚Nicht mehr weit.‘, dachte ich.
‚Los!‘, spornte ich mich an, spürte, daß ich nicht länger zu Höchstleistungen fähig sein würde. Weiter, weiter, immer weiter.
Die Menschmassen nahmen zu; ich ignorierte sie, huschte hindurch – und erreichte mein Fahrrad.
Keuchend und geschafft, doch glücklich und stolz versuchte ich erst einmal, meinen Atem wiederzufinden, ging ein paar Schritte und schüttete dann den Inhalt meiner Wasserflasche in mich hinein.
Ich war doppelt so weit gelaufen wie gestern.
Heldenhaft.
Nun hatte ich auch Augen für meine Umgebung.
Menschen, Menschen, Menschen. Überall. Unglaublich, wie viele Menschen zur Eröffnung der Sternbrücke erschienen waren. Von irgendwo tönte Santana; überall standen Freßbuden, Magdeburg-Souvenirläden und irgendwelche Hobbykünstler herum.
Die Sternbrücke war mittlerweile eröffnet worden. Auf ihr drängten sich die Massen aneinander vorbei, kamen kaum voran, mußten alles bestaunen, gut finden. Ein „Seemann“ spielte Akkordeon, eine Dreiergruppe gab – mir unbekannte – Evergreens wie „Die Elbe fließt durch Machteburch“ zum Besten.
Die Menschen glotzten, schauten, blieben stehen, versperrten mit ihren Fahrrädern sämtliche Wege. Nur allmählich kam ich voran, wollte eigntlich nur nach Hause, unter die Dusche.
Um mich herum tobte das Leben. Kleinkünstler stellte sich als starrre Figuren oder Magdeburger Stadtwappen in die Gegend und ließen sich betrachten. Luftballons, Eis, Bratwürste, Bier – überall.
Als ich die Brücke überquert hatte, atmete ich auf. Doch ich hatte es längst nicht überstanden. Auf der anderen Seite war die Menschenmasse, die Anzahl an Buden und Bühnen nicht geringer. Wolle Petry drang an mein Ohr. Die mdr-Gute-Laune-Bühne machte Stimmung.
Ich floh, schwang mich auf das Fahrrad, fuhh nach Hause – erschöpft, doch angefüllt mit Stolz.
[Im Hintergrund: Madrugada – „Industrial Science“]
Heldenhaft
Schon am zweiten Tag gebe ich auf.
Nein: Schon vor dem zweiten Tag.
Der heutige Abend war durchaus angenehm, wenngleich die musikalische Untermalung in dervon mir [nahezu unfreiwillig] besuchten Alternativdiskothek ein wenig „mainstreamiger“ hätte sein können. Den Musikauflegern war es scheinbar egal, ob sich nun drei Tanzende [viel mehr waren es nie] oder eben kein einziger zu den gitarrenlastigen Klängen bewegten.
Den Höhepunkt bildete Slut mit „Easy To Love“. Ich erkannte den Song als erster, stürmte auf die Tanzfläche, begleitet von zwei Kumpanen. Kaum begannen wir, unsere Leiber im Takt zu bewegen, begaben sich auch noch ein paar andere Tanzwütige auf die vorher leere Fläche.
War ich gar zum Trendsetter, zum positiven Vorbild geworden?
Nein, natürlich nicht. Das nachfolgende Lied – mir völlig unbekannt – vertrieb alle wieder, von mir und meinen Kumpanen abgesehen. WIr hielten tapfer durch, gaben sozusagen eine freundliche Tanzzugabe, bis auch wir abdankten und an unserem Tisch sitzend darauf hofften, daß irgendwann mal wieder etwas Bekanntes zu hören sein würde.
Die Dialoge waren nett, wenngleich auch zuweilen mühsam, tilgte doch der fremde Lärm große Teile der eigenen Laute. Ich trank an der dritten Cola, als wieder ein bekanntes Lied ertönte. Ich weiß nicht, woher ich es kannte und von wem es war; doch ich kannte es. Die anderen scheinbar auch; doch keiner war mehr tanzwillig.
Ich deklarierte diesen Song zum abschließenden Höhepunkt des Abends und radelte heimwärts, in ständiger Obhut, ob nicht irgendwo ein hintertückisches Polizeiauto lauern würde.
Schließlich waren sowohl meine Klamotten als auch mein Fahrrad in grellem Neonschwarz gehalten und ersetzten die fehlende Beleuchtung optimal.
Der Stundenzeiger nähert sich der Zwei. Es ist nicht damit zu rechnen, daß ich morgen – also heute – um sieben [wie geplant] aufstehen werde, um durch die Gegend zu hampeln.
Das Vorhaben auf eine spätere Stunde zu verlagern, mißfällt mir, da am morgigen – also heutigen – Tag dort, wo ich zu joggen wünschen würde, eine aufwendig gefeierte Brückeneröffnung stattfinden wird, so daß sich dort Menschen und Leute tummeln und mein sportliches Vorhaben behindern werden.
Einen Vorteil jedoch hat diese Brückeneröffnung: Sie kürzt mehrere Minuten Radweg zum Joggingstreckenstart ab. Das freut mich und läßt in mir den Entschluß reifen, doch noch nicht aufzugeben.
Heldenhaft.
Eindruckschinderei
Heute Abend bemerkt:
In einer geselligen Runde beeindruckt es tatsächlich, einen Satz mit
„Es gibt Situationen, in denen…„
zu beginnen.