Wäre eine Regierung, eine staatliche Oberheit, perfekt, makellos, bräuchte man keine Regierenden.
Der Gedanke, der hinter diesem Satz steckt, ist folgender: Politiker haben es sich vorwiegend zur Aufgabe gemacht, das Leben der Bürger zu verbessern, dabei aber auch die Belange des Staates zu vertreten. Dazu werden täglich Vorschläge erbracht, Ideen durchdacht, Entscheidungen gefällt.
Doch sind die Regierenden letztendlich nicht diejenigen, die die gefällte Entscheidung in die Tat umsetzen. Dafür sorgen Verwaltungsapparate. Was macht also die Obrigkeit? Entscheiden. Gegenwarts- und Zukunftssituationen durchdenken und versuchen, mit Regeln und Beschlüssen in die richtige Richtung zu lenken.
Dagegen ist nichts auszusetzen.
Aber es werden ständig neue Regeln aufgestellt, alte Gesetze abgeändert, verbessert, Ideen verworfen oder optimiert usw. Die Regeln, nach denen zu leben, zu handeln, ist, stellen nur eine Art schwammige Masse dar, deren Formen sich stetig ändern.
Im allgemeinen ist Veränderung gut. In diesem Fall jedoch nur bedingt. Denn Veränderung, der stete Drang, die stete Notwendigkeit zu verändern bedeutet hier vor allem eins: Die Gesetzgebung, die Regeln, die unser Dasein bestimmen, sind äußerst unzureichend. Sie sind bei weitem nicht perfekt, bei weitem nicht optimal, vielleicht noch nicht einmal gut.
Ständig muß korrigiert, Altes ausgemerzt, Neues beachtet werden. Ständig zeigt die Entwicklung des Staates, daß Gedanken in der Vergangenheit falsch waren oder in falsche Richtungen führten. Dieser Umstand bewirkt Diskussionen, Streit, zwischen Betroffenen und Verantwortlichen, zwischen Beharrern und Verbesserern.
Wäre das System perfekt, bedürfte es keiner Veränderung. Ein festes Regelwerk, das unabänderlich über der Bevölkerung schwebte und jede Eventualität berücksichtigte.
Wäre das System perfekt, bedürfte es nur einer einzigen Variablen, einer einzigen veränderlichen Größe: die menschliche Entwicklung.
Mit der Entwicklung des Menschen verändern sich dessen Denken, dessen Handlungsweise, dessen Bedürfnisse. Dieser Umstand muß natürlich berücksichtigt werden, muß Einfluß auf die Gesetze und Regeln haben.
Doch ansonsten wäre für die Regierenden nichts zu tun, nichts. Das Regelwerk in seiner Perfektion bräuchte keine steten Diskussionen und Verbesserungen, keine Korrekturen und Ausmerzungen. Nur dem Fortschritt müßte es angepaßt werden, nur der menschlichen Entwicklung.
Das zeigt also deutlich, wie weit das derzeitige System von der Perfektion entfernt ist, wie sehr es nötig ist, Fehler zu beseitigen und zu korrigieren, Löcher zu stopfen, die ihrerseits Löcher schaffen, die gestopft werden müssen.
Eine Regierung wäre im Perfekten System wohl nahezu überflüssig. Doch dieses ist selbstverständlich unerreichbar. Aber allein der Gedanke an ein solches zeigt, wie unvollkommen unsere Staatsform, unsere Gesetzgebung, unsere Regierung in Wirklichkeit ist, die wir zuweilen für vollkommen zu halten wünschen. Es zeigt auf, daß wir tagtäglich in einem System leben, daß aus einem Stückwerk von Fehlern besteht, die fortwährend korrigiert werden müssen.
Der wohl deutlichste Gegensatz zu diesem unförmigen Flickenteppich ist die Bibel – ein Buch, das über Jahrtausende Bestand hatte, das ab einem bestimmten Punkt nicht mehr verändert, verbessert wurde, ein Buch, das angeblich die Regeln des Lebens enthält, das nicht dem Fortschritt angepaßt wird, nicht mit der menschlichen Entwicklung Schritt zu halten versucht, nicht fortwährend in sich selbst Fehler aufdeckt, die korrigiert werden müssen.
Die Bibel könnte ein Beispiel für das Perfekte System sein – wäre sie perfekt. Doch das ist sie nicht, allein schon, weil sie von Menschen geschrieben wurden, denen man die Perfektion ohnehin absprechen kann. Die Bibel enthält mehr Fragen als Antworten.
Und doch wird sie von der christlichen Kirche als unfehlbares Werk Gottes, als Richtungsweiser, als Ratgeber benutzt, empfohlen. Alle Antworten seien darin verborgen.
Und so finden sich Theologen und Bibelforscher, die Fragen auf den Grund zu gehen versuchen, die Antworten „zwsichen den Zeilen“ suchen, als gäbe es sie, als könnte das Jahrtausende alte Werk auch über alle Fragen der Moderne Auskunft geben.
Das kann es nicht.
Und doch steht dieses feste, starre Regelwerk im Gegensatz zu jeder Regierungsform, die sich immer neuen Formen fügt.
Beide sind unzureichend, ohne Perfektion. Wir leben irgendwo dazwischen und versuchen, mit dem klarzukommen, was gerade ist, suchen Halt an Werten und Glauben, an der vermeintlichen Sicherheit in der Starre, in der Formlosigkeit, vergessen, daß nicht jede Antwort bereits gegeben ist, daß nicht jede Antwort vom „System“ erfolgen kann…