Mein heutiges Dasein aus einem zukünftigen, postmortalem Blickwinkel betrachtend stelle ich zuweilen gewisse Parallelen zu einem Film fest, den ich einst sah, einem, in dem nach dem Tode eine Art Zwischenstation eingerichtet war, in dem entschieden wird, ob die eigene Seele gen Himmel oder gen Hölle zu fahren habe. Um dies beurteilen zu können, werden – einem Gerichtsprozeß gleich – verschiedene Szenen des eigenen, vergangenen Lebens auf einer Art Videowand dargestellt, wobei sich sowohl der Verteidiger, der einem den Weg nach oben ebnen soll, als auch derjenige, der alles in Frage stellt, Szenen aussuchen darf, die ihre jeweilige Position bekräftigen.
Ich befürchte fast, daß in dem von mir bedachten Film, der tatsächlich als Vergleich zu meiner Sichtweise herhalten soll, Meryl Streep und Chevy Chase [Möge es nicht Chevy Chase gewesen sein!] einander in diesem Zwischenreich kennenlernen. Und während die Meryl-Streep-Figur ein tadelloses Gutmenschen-Dasein geführt hatte, weil sie irgendwelche Hunde aus brennenden Häusern rettete, hat die Chevy-Chase-Figur damit zu kämpfen, kein sonderlich gutes Leben geführt zu haben. Denn das Fazit aller Lebensabschnittsbetrachtungen lautete bei ihm jedesmal, daß es einzig die Angst war, die sein Handeln und Nichthandeln bestimmte.
Und tatsächlich stelle ich mir genau diese Frage: Ist es die Angst, immer wieder die Angst, die mein Leben bestimmt, meine Schritte lenkt?
Zu oft schon mußte ich mir ein beschämtes „Ja.“ zur Antwort geben und gleich darauf meine Gedanken nach dem Warum zermartern. Ich bin träge, das weiß ich, doch will ich ändern, will ich immer wieder ändern.
Erst unlängst ward [nur im Scherz, doch ernst genug, um mich darüber nachsinnen zu lassen] festgestellt, daß ich ein passiver Mensch sei, und ich bin geneigt, dem zuzustimmen. Nicht immer, nicht in jedem Bereich meiner Existenz, doch in zu vielen, zu oft.
Blicke ich also irgendwann aus meiner Nachtodzukunft auf mich zurück, so will ich nicht begreifen müssen, daß es Angst war, die mich entschied, mich auf bestimmten Gleisen fahren, die mich Fehler und Gutdinge bewirken ließ. Ich will zurücksehen und lachend feststellen, daß jede Tat, ob gut ob schlecht, geschah, weil ich es so wollte [oder weil ich es nicht hätte beeinflussen können], daß nicht die Angst mir Hindernis oder Wegbereiter war, sondern mein eigener Wille, der Wunsch, eine bestimmte Richtung zu begehen, einen eigenen Pfad zu wählen.
Es ist ein schweres Vorhaben, das ich faßte, das Streben nach der Unabhängigkeit von der eigenen Angst, fällt es doch schon schwer, mir die Frage zu beantworten, was ich eigentlich beabsichtige, was ich willl, mir ersehne und in welche Richtung ich mich wenden muß, um dorthin gelangen zu können.
Doch in meinem Schädel droht die ewige Frage, die ich nach meinem Ableben keineswegs mit „Ja.“ beantworten will:
War es Angst, die mein Handeln bestimmte?
[Im Hintergrund: Stillste Stund – „An das Morgenlicht“ — „War es nicht das Morgenlicht / Das mir zeigte, dass die Nacht vorüber war?“]