Ansteckungsgefahr

Ich muß es zugeben, auch wenn die Gefahr besteht, mich als un-individuell darzustellen [was eigentlich nicht funktionieren dürfte, da wir ja bekanntlich alle Individuen sind…], daß ich es liebe, Musik-Kritiken zu lesen, die sich auf kürzlich erschienene Alben beziehen.

Das Genre ist dabei – erstaunlicherweise – relativ egal, denn was ich suche, geht tiefer. Mich durch Wortschwülste wühlend sehne ich mich nach dem Feuer der Begeisterung, sehne ich mich danach zu spüren, daß der Rezensionsautor dem erscheinenden oder erschienenen Werk huldigt, es nicht nur schlicht gutheißt, sondern liebt, verehrt, Elemente daraus aufzählt, die ihn fesseln – und die womöglich imstande sind, auch mich zu fesseln.

Denn ich bin mir nicht zu schade, auch in mir eigentlich unlieben Genres nach Interpreten und Stücken zu kramen, die irgendwen mit Begeisterung bestückt haben, folge schnüffelnd der Spur innerer Euphorie, bis ich zu dem Punkt gelange, an dem ich diese bestätigen kann oder schulterzuckend als fremde, unerreichbar abhaken muß.

Doch leider gibt es viel zu viele unglaublich schlechte Musikkritiker, viel zu viele unglaublich schlechte Musikkritiken, angefangen von den fünfzeiligen Beurteilungen im regionalen Veranstaltungsmagazin über die musikalisch oft eingleisig berichtenden Spiegel-Online-Redakteure bis hin zu speziellen, eigentlich für meinen Geschmack ausgelegten Zeitschriften, in denen nicht nahegebracht werden kann, inwieweit das Album oder die Band zu bewerten ist.

Ich mag es nicht, wenn Menschen, denen bestimmte Musikrichtungen fremd sind, sich hinsetzen und Erscheinungen in dieser Kategorie mit einem Verriß bestücken. Noch weniger mag ich es allerdings, wenn die Schreibenden so tief in der Materie stecken, daß ich als Nahezu-Außenstehender nicht zu begreifen vermag, wovon die Rede ist.

Dergleichen finde ich häufig bei SpOn: Jan Wigger und seine Helfer beurteilen „Die wichtigsten CDs der Woche“, und ich freue mich jedesmal, wenn ich immerhin eine oder zwei Bandnamen schon einmal in meiner Gegenwart erwähnt hörte.

Doch die Spezialisierung könnte ich noch akzeptieren, wäre da nicht der schreckliche, verallgemeinernde Schreibstil, der mich stets mit Verdruß füllt. Das „man“ ist überall anzutreffen, als wären alle Lesenden eine große, ausschließlich guter [natürlich: „gut“ auf SpOn-Weise] Musik lauschende Einheit. Dergleichen findet sich wieder, wenn von „wir“ die Rede ist, von einer gemeinsamen Vergangenheit, die wir ja alle teilen – die allerdings Jahre vor meiner eigenen, persönlichen liegt -, von gemeinsamen Erfahrungen, die ich – vielleicht aufgrund meiner Ostblockwohnhaftigkeit, vielleicht wegen meines Alters, vielleicht aufgrund meiner „Szene“-Unkenntnis – niemals erlebte.

Ich mag es nicht, von mir unbekannten Bands zu lesen und Vergleiche zu zahlreichen anderen mir Unbekannten zu finden – ohne daß auch nur mit einem Wort erwähnt wird, um welchen Musikstil es sich dreht. Derlei verfährt auch gerne das Projekt 7, eine Magdeburger „Independent“-Tanz- und Konzertlokalität in ihren ankündigenden Flyertexten.

Ja, man könnte google bemühen oder sich mit dem räudigen realmedia-Format rumärgern, das amazon als Musik-Vorschau nutzt. Doch einfacher wäre es, zumindest zu erwähnen, in welche Richtung das Musikalische einzuordnen ist.

Derlei erlebe ich auch in mich interessierenden Musikmagazinen. Bei Bands, deren Diskographie mehr als drei Alben umfaßt, wird kaum noch auf die Musik und Inhalte Bezug genommen [weil das ja in der von mir nicht erlebten Vergangenheit genug getan wurde], sondern lieber Vergleichendes aufgeführt, um abzuschätzen, ob sich das neue Werk mit den Vorgängern messen kann.

Und doch verfalle ich immer wieder meiner Sucht: Entdecke ich eine begeisterte Bewertung, beschäftige ich mich mit dem Text und baue zugleich in mir den Wunsch auf, zumindest mal hineingehört zu haben in das, was jemandem anderes so viel Begeisterung vermacht hatte.

Zuweilen bin ich gefesselt, gefangen von der fremden Freude, lasse mich von ihr anstecken, lausche den Klängen, beeinflußt durch uneigenes Denken, und vermag Ähnliches zu empfinden, vielleicht sogar kurzschlußartig meinen CD-Bestand durch einen Spontankauf zu erweitern.

Allerdings sei eingestanden, daß es nicht einfach ist, mich in diesen Maßen zu begeistern. Zumeist verebbt der Fanatismus beim Reinhören, und enttäuscht stelle ich die CD ins Regal zurück. Enttäuscht nicht, weil ich schlechten Klängen lauschte, die nicht weil ich einer falschen Hoffnung aufsaß, sondern einzig und allein, weil ich nicht imstande bin, die fremde Begeisterung zu meiner eigenen zu wandeln.

Doch es geschah bereits, und es befinden sich einige Stücke in meiner Sammlung, die ich fremden Worten verdanke und die noch heute ein Flackern in meinen Augen entfesseln.
Und so lese ich weiter, lausche fremden Mündern, versuche mich zu öffnen, sauge Wissen in mich auf, vernehme neue Namen, die vielleicht alsbald auch aus meinem Munde begeistert erklingen werden.

[Im Hintergrund: Dimmu Borgir – „Blessings Upon The Throne Of Tyranny“]

Die Theorie von der nötigen Voraussetzung

Immer wieder erstaunlich für mich ist festzustellen, daß das Herunterfahren meines Rechners exakt so viel Zeit benötigt, wie ich brauche, um
– Monitor und Anlage auszuschalten
– aufzustehen
– einen Schritt ins Zimmer zu machen
– zurückzublicken
– mich zu wundern, warum der Rechner immer noch Arbeitsgeräusche von sich gibt
– den Monitor wieder anzuschalten
– darauf zu warten, daß sich allmählich das Bild einstellt
– und in dem Moment, in dem die Monitorschwärze einem sichtbaren Bild weicht, zu vernehmen, daß der Rechner aufgehört hat rumzulärmen und nun endgültig aus ist.

Das läßt die Theorie aufkommen, daß der Rechner erst dann komplett herunterfährt, wenn ich mich dazu bequeme nachzuschauen, warum er noch immer läuft.

Diese Theorie bestätigt sich durch ein anderes Erlebnis, bei dem mein Mitbewohner und ich vor der Mensa auf seine Freundin warteten. 13 Uhr sollte sie eintreffen, und mittlerweile war es zehn Minuten danach.
„Normalerweise würde ich jetzt reingehen.“, meinte mein Mitbewohner. „Jedoch kann ich drauf wetten, daß sie genau dann hier eintrifft, wenn wir in der Mensa verschwunden sind. Also warten wir noch zwei Minuten.“

Das erschien mir logisch, und ich willigte ein. Wir blickten aus dem Fenster, so daß wir den Mensavorplatz gut überschauen und ihre Ankunft frühzeitig bemerken konnten.
Doch sie kam nicht. Die zwei Minuten verstrichen, und auch in der Ferne war nichts von ihr auszumachen.

„Sie kommt erst, wenn wir in die Mensa gehen.“, überlegte ich laut.“Wahrscheinlich ist unser Betreten der Mensa sogar Voraussetzung für ihr Erscheinen.“

Mein Mitbewohner schaute mich erstaunt an, als wäre ich fremden Welten entsprungen, blickte noch einmal kurz und ergebnislos nach draußen, zuckte mit den Shcultern und deutete mir, die Mensa zu betreten.

Es war voll, die Warteschlange lang. Und in dem Moment, da wir uns einreihten, stieß die Freundin meines Mitbewohners zu uns, begrüßte uns freudig. Die Augen meines Mitbewohners wurden groß vor Verwunderung.

„Sag ich ja.“, grinste ich ihn an.

[Im Hintergrund: Janus – „Die Welt Steht Kopf“]

FFFfF: Lektüre

Heute verzichte ich auf ein langes Vorwort.

Und so.


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[Im Hintergrund: Stillste Stund – „Blendwerk Antikunst“]